Man kann es freundlich als ’nicht so großen Wurf‘ bezeichnen oder treffender als Gesetzgebung für die geistige Unterschicht an Deutschlands Stammtischen. Gemeint ist die diesjährige Reform des Sexualstrafrechts, die gestern das Bundeskabinett beschlossen hat und die nun eilig in Kraft treten soll. Kein anderes Rechtsgebiet ist in den letzten 15 Jahren dermaßen verschärft worden wie das hiesige Sexualstrafrecht. Die Reformen haben dabei ein Maß erreicht, das als beispiellos bezeichnet werden muss. Die Verschärfungen haben als Welle des Verfolgungswillens die ganze Gesellschaft bis an die Grenze der Hysterie und teilweise darüber hinaus durchdrungen.
Spätestens wenn man die Kommentare bei einschlägigen Nachrichtenseiten oder bei Facebook liest, weiß man, was mit „Gesetzgebung für die geistige Unterschicht“ genau gemeint ist. Volkes Seele kocht noch von der Edathy-Affäre und der Gesetzgeber verteilt nun Beruhigungssaft.
Posing-Aufnahmen waren auch schon vor der Reform strafbar
Reine Gesetzeskosmetik wird bei sog. Posing-Fotos und Videos betrieben. Die „Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ war bislang auch schon strafbar. Künftig werde es lediglich nicht mehr erforderlich sein, dass diese Körperhaltung des Kindes aktiv eingenommen wird, so dass auch Bilder von schlafenden Kindern in einer solchen Körperposition zukünftig strafbar seien.
Die sog. Posing-Aufnahmen war auch schon vor dieser Reform strafbar // Foto: maxoidos / fotolia.com
Unbefugte Herstellung von Bildaufnahmen, die dem Ansehen schaden
Die Neuregelung des § 201a StGB, die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, wird zukünftig zu einem konturlosem, völlig unbestimmten Feld. Darunter soll fortan die „unbefugte“ Herstellung, Weitergabe und Verbreitung von Bildaufnahmen fallen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Auf einen sexuellen oder pornographischen Kontext kommt es hierbei nicht an; auch muss die Person keineswegs minderjährig sein, wie dies teilweise in Medien transportiert wurde. Was genau unbefugt meint und was geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, ist derzeit völlig offen. Zurecht stößt die sehr weite Regelung auf breite Ablehnung, etwa beim Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, Prof. Dr. Wolfgang Ewer, der darin eine „unverhältnismäßige Vorverlagerung der Strafbarkeit“ sieht. Denn wenn schon die Herstellung eines solchen Fotos im privaten Lebensbereich strafbar sein soll, dürften sämtliche Partyfotos dicht an der Grenze zur Illegalität verlaufen. Ob dadurch – wie beabsichtigt – ein wirksamer Schutz vor Cybermobbing erreicht werden kann, ist fraglich. Es bleibt eher abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht hier das letzte Wort haben wird.
In Ergänzung der Strafbarkeit von Herstellung, Weitergabe, Verbreitung von Posing-Aufnahmen nach §§ 184b, 184c StGB wird künftig auch die Herstellung, Weitergabe und Verbreitung von Nacktaufnahmen – vor allem von Kindern und Jugendlichen – unter Strafe gestellt, die unter Verletzung von deren Persönlichkeitsrechten entstanden sind. Erfasst werde damit auch das Austauschen von Kinder- und Jugendnacktbildern in Tauschbörsen oder sozialen Netzwerken.
Erweiterung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen
Die Schutzlücke der Fälle von Vertretungsverlehrern im Rahmen des § 174 StGB wird durch die Reform geschlossen. Der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen in Verhältnissen sozialer Abhängigkeit wird dadurch umfassender geschützt.
Sexualstraftaten sollen später verjähren als bisher
Nach dem Gesetzesentwurf verjähren Sexualstraftaten zukünftig später als bisher, insbesondere durch die Anhebung der Altersgrenze in der verjährungsrechtlichen Ruhensregelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB vom 21. auf das 30. Lebensjahr des Opfers und die Aufnahme der Straftaten nach §§ 180 Abs. 3, 182 und 237 StGB in diese Vorschrift. Schwere Sexualdelikte, die einer Verjährungsfrist von 20 Jahren unterliegen, könnten damit zukünftig nicht mehr vor Vollendung des 50. Lebensjahres des Opfers verjähren, selbst wenn das Opfer zur Tatzeit minderjährig war. Der Nutzen bleibt ungewiss: Schon ein 30 Jahre zurückliegendes Sexualdelikt wird sich nach dieser langen Zeit kaum sicher nachweisen lassen – wie soll es dann erst nach 39 Jahren sein? Prof. Monika Frommel nennt dies eine „symbolische Gesetzgebung für Opferschutzlobbyisten“. Dagegen werde die Rechtssicherheit, der Verjährungsfristen nun einmal dienen soll, im Namen einer symbolischen Politik geopfert.
Schlechtes Planschbecken-Gesetz
Das Fazit von vieler Juristen fällt nüchtern aus: die Änderungen seien wahlweise als überflüssige Klarstellungen, oder als unzulässige Neuregelungen anzusehen. Heribert Prantl bezeichnet die Reform in der heutigen SZ als „schlechtes Planschbecken-Gesetz“, das den Fall Edathy benutzt, um jegliche Nacktheit in die Nähe von Pädophilie zu rücken. Vor solchem Unfug müssten Kinder, Eltern sowie das Strafrecht – zurecht – geschützt werden. Auch Frau Prof. Frommel sieht das so: Das Gesetz tue für die Bekämpfung von Kinderpornographie wenig, trete durch unbestimmte Formulierungen und die ausufernden Strafandrohungen jedoch rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen. Das sei weder Politik für liberale noch für konservative Wähler, sondern lediglich „für die geistige Unterschicht an Deutschlands Stammtischen“. Viel wichtiger wäre, am Vollzugsdefizit zu arbeiten und die defizitäre personelle wie finanzielle Ausstattung der Behörden anzugehen.
Wenn man aus dem Wort Kosmetik die Buchstaben s e und t rausnimmt, dann steht da „Komik“. Mehr kann man zu dem Gesetzentwurf wohl auch nicht sagen.
Wie soll ein beklagtes Vollzugsdefizit bei Kinderpornografie dadurch beseitigt werden, dass der Straftatbestand ausgeweitet wird? Das müsste der Gesetzgeber einmal erklären.
Und er müsste erklären, wie er auf das Alter von 30 Jahren kommt, ab dem die Verjährung in Zukunft laufen soll. Warum nicht 29, warum nicht 31? Weil es so schön rund ist? Das ist dann aber spätestens aus Gleichbehandlungsgründen angreifbar.
Und wer mit dem Argument der Opfer kommt, der sollte sich einmal zu Gemüte führen, was die von Roman Polanski missbrauchte 13-jährige inzwischen sagt: http://www.spiegel.de/panorama/leute/missbrauchsopfer-samantha-geimer-hat-verstaendnis-fuer-roman-polanski-a-924080.html
Die Verjährung ist ein doppelseitiges Schwer, denn sie bedeutet auch, dass die Ermittlungsbehörden nach einer so langen Zeit ermitteln müssen, selbst wenn das inzwischen erwachsene Opfer schon längst seinen Frieden mit der Situation gemacht hat. Es ist exakt das was im Polanski Fall passiert ist und es ist erschreckend, mit welcher Geschwindigkeit man sich den lächerlichen amerikanischen Verhältnissen annähert.
Übrigens hat die Verjährungsfrist noch einen weiteren Fallstrick: Wenn heute ein 14-jähriger mit einer 13-jährigen rummacht, dann ist das sexueller Missbrauch. Wenn das innerhalb der Verjährungsfrist irgendjemand erfährt, dann MUSS die Staatsanwaltschaft ermitteln. Kann man sich das vorstellen? Dass jemand mit Mitte 50 vor den Augen seiner Familie abgeführt wird, weil er als 14-jähriger mit einer 13-jährigen rumgemacht hat?
Mit einer Leutheusser-Schnarrenberger hätte es diesen miserablen Entwurf nicht gegeben. Maas hat völlig versagt. Statt das Sexualstrafrecht weg von Hysterie zu führen und weg von an der Grenze zur Fiktion liegenden Behauptungen (Richter am BGH Eschelbach), macht er, flankiert von der hysterischen Schwesig und dem unnötigen Missbrauchsbeauftragten weiter, wie seine Vorgänger, die mit Ausnahme von Leutheusser-Schnarrenberger allesamt unfähig waren.
Praktisch und rechtsstaatlich problematisch sind insbesondere die Verjährungsregelungen.
Aus praktischer Sicht ergeben sich nicht selten schon bei der Verfolgung „normaler“ Verbrechen ganz erhebliche Schwierigkeiten, wenn knapp vor Eintritt der Verjährung nach 20 Jahren der Täter ergriffen werden kann – dann geht es weniger darum, ob die Zeugen noch eine eigene Erinnerung an das damalige Geschehen haben, sondern vielmehr darum, ob sie noch auffindbar, namentlich nicht schon verstorben sind. Bei regelmäßigen Verjährungsunterbrechungen, bspw. durch Fahndungsmaßnahmen nach Anklageerhebung, und der damit auf 40 Jahre gestreckten Verjährung gilt das potenziert – und das sind, wohlgemerkt, Fälle, bei denen ein Täter schon zumindest einmal ermittelt und durch ein oder zwei Insttitutionen hinreichender Tatverdacht bejaht wurde.
Sexualstraftaten stellen regelhaft die besondere Problematik der Situation „Aussage gegen Aussage“ dar, potenziert dadurch, dass die Opfer oft noch sehr jung sind und zudem die Taten möglicherweise verdrängt haben und/oder traumatisiert wurden und psychische Auffälligkeiten aufweisen, seien diese Tatfolgen oder sei die Behauptung der Tat umgekehrt Folge der Auffälligkeiten.
Wenn diese Taten dann noch erst lange, lange nach dem Geschehen angezeigt werden, wird die ohnehin sehr schwierige und durch die genannten Faktoren zudem noch zusätzlich problematische Beweissituation nochmals erschwert. Welchen Zweck es dann unter diesem Gesichtspunkt haben soll, sexuelle Gewalt, die einer – sagen wir – 10jährigen angetan wurde, im Falle eines Verbrechens noch mit 49 Jahren anzeigen zu können (Verjährung ruht bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres, danach dann 20 Jahre bei Verbrechen), erschließt sich mir nun wirklich in überhaupt keiner Weise.
Das ist Symbolgesetzgebung, zumal auch das Alter von 30 Jahren in keiner Weise begründbar, sondern willkürlich gewählt erscheint; genauso gut könnte man die Verjährung ganz aufheben.
Diese Entscheidung ist aber auch rechtsstaatlich problematisch, eben weil sie letztlich willkürlich erscheint; die strafrechtliche Verjährung hat ja ihre guten Gründe, und die bis jetzt einzige Ausnahme – für Mord – hat auch (in den Verbrechen des Nationalsozialismus, die den Grund für die mehrfache Verlängerung der Verjährung und deren letztendliche Aufhebung waren) ihren guten Grund.
Warum die Tötung eines 10jährigen Kindes nach 20 Jahren verjähren sollte, das Eindringen mit dem Finger in Scheide oder Anus (oder auch das Berühren über der Kleidung an den Genitalien, wenn es sich um eine Wiederholungstat binnen fünf Jahren handelt) aber erst nach 40 Jahren, erschließt sich bei auch nur einigermaßen rationaler Überlegung in keiner Weise.
Ein Punkt in dem Gesetzentwurf, den ich als besonders kritisch sehe, ist die Einführung einer zur Kinderpornographie identischen Definintion für Posingfotos in die Jugendpornographie. Dieser Definiton entsprechende Darstellungen finden sich in den Medien der letzen Jahrzehnte nicht gerade selten. Von ganzen Jahrgängen der BRAVO bis zu dem berühmt-berüchtigen Tatort-Krimi mit Natassja Kinski könnten damit strafbar sein. Hier befürchte ich, das viele Menschen dadurch kriminalisiert werden, zumal ja auch dieser Punkt des Gesetzentwurfes in den Medien bislang nicht erwähnt wurde.