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Die mediale Vorverurteilung

Die Geschichte ist schnell erzählt: Eine junge Studentin geht mit ihrem Date auf eine Party im Haus einer Studentenverbindung. Dort wird sie von sieben Männern vergewaltigt, drei Stunden lang – während der Mann, mit dem sie verabredet war, nur dabei zusieht. Der siebte bekommt keinen hoch, die anderen reichen ihm eine Bierflasche, die er dann gewaltsam einführt. Diese Gruppenvergewaltigung ist Teil des Initiationsrituals der Studentenverbindung, das neue Mitglieder der Verbindung durchlaufen müssen.

Fake Rape Date

Das Problem an der Geschichte: Sie ist frei erfunden – und zwar von der Studentin selbst. Unter der Überschrift „A Rape on Campus“ („Eine Vergewaltigung auf dem Campus“) veröffentlichte die Zeitschrift „Rolling Stone“ im vergangenen November diese Story von „Jackie“ und erregte damit einmal mehr die öffentliche Empörung über sog. „Rape-Dates“, die an amerikanischen Universitäten zum Alltag gehören sollen.

Die Autorin des Artikels Sabrina Rubin Erdely stützte ihren Artikel auf eine einzige Quelle: Jackie. Dabei hätte sie schon mit minimalem Rechercheaufwand herausfinden können, dass es an dem fraglichen Tag gar keine Party in dem namentlich genannten Verbindungshaus gab – wenn sie denn gewollt hätte. Bereits aus dem Fall „Lena Dunham“ hätten die Medien lernen können, sie haben aber nicht. Denn – machen wir uns nichts vor – Journalisten sind für solche Geschichten dankbar und lassen sich eine gute Story noch nicht durch Fakten verderben!

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Foto: Jerzy / pixelio.de

Vorverurteilung und die „Anwälte der Wirklichkeit“

Auch der zweite Fall der Vergewaltigung an einer Universität, der weltweit Schlagzeilen machte, wirft nun Fragen auf. Es geht um die Studentin, die seit Monaten eine Matratze über den Campus der Columbia University trägt, auf der sie angeblich vergewaltigt wurde. Der Beschuldigte hatte Facebook-Nachrichten des angeblichen Opfers an ihn öffentlich gemacht, die zumindest Zweifel an deren Darstellung aufkommen lassen.

Schnell wurden damals Vorwürfe in der Presse gegen die Universität und die Polizei laut, weil sie nicht hartnäckig genug ermittele. Allzu schnell haben Medien die Schuldigen ausgemacht – ganz ohne lange Hauptverhandlung, ganz ohne Beweisaufnahme. Diejenigen, die sich gern als „vierte Gewalt“ im Staat sehen und als „Anwälte der Wirklichkeit“ verstehen wollen, sind mit ihrem (Vor-) Urteil häufig allzu schnell. Die seriöse Berichterstattung des „Qualitätsjournalismus“ ist durch die Geschwindigkeit der Onlinemedien längst ins Hintertreffen geraten. Üblicherweise geht die Story heute erst einmal raus, meist unkontrolliert von anderen abgeschrieben und erst dann (vielleicht) recherchiert. Man kann den Artikel schließlich auch später noch nach Belieben umschreiben. Der öffentliche Vorwurf ist dann allerdings schon in der Welt.

Vor allem im Sexualstrafrecht ist dieses journalistische Verhaltensmuster häufig anzutreffen – kaum ein anderes Thema „erregt“ die Öffentlichkeit so sehr wie dieses. Aus der Öffentlichkeitsfahndung eines Tatverdächtigen wird gleich die Jagd nach einem „Sexgangster“. Formuliert die Polizei den Fahndungsaufruf mit aller gebotenen Zurückhaltung, kommt in nahezu allen Medien im Text zum Foto kaum ein Konjunktiv vor, der Tatvorwurf wird zur Tat, ein mutmaßliches Tatgeschehen bereits jetzt als genauso geschehen dargestellt.

Der Pressekodex ist ein stumpfes Schwert, die Unschuldsvermutung ist nichts mehr wert, eine Folgeberichterstattung findet praktisch nie statt. Verurteilte sollen durch den „Medien-Pranger“ keine soziale Zusatzbestrafung erhalten – die Realität ist, dass diese dagegen fast täglich schon Beschuldigten zuteil wird, lange vor dem Urteil der eigentlich dafür berufenen Gewalt.


4 Kommentare zu “Die mediale Vorverurteilung

  1. Die sogenannte 4. Gewalt leidet unter einer gewissen Hybris. Die Rechte, die der Verfassungsrang einräumt, können eigentlich nur mit einer entsprechenden Verantwortung angemessen sein. Sonst bräuchte es mehr Kontrolle.

    Und Sie haben Recht: Insbesondere bei Berichten über Sexualstraftaten versagen die Medien kollektiv und zwar immer in der gleichen Weise (man könnte ja darüber hinweg sehen, wenn die Stoßrichtungen unterschiedlich wären).
    Die Unschuldsvermutung wird aufgehoben, das Wort „mutmaßlich“ wird gerne vergessen, Bilder werden unverpixelt veröffentlicht und die Attribute „Sex-Gangster“, „Monster“ und ähnliches fließen den sogenannten Journalisten unter dem Schutzmantel des Verfassungsranges allzu leicht aus der Feder.
    Besonders auffällig wird der Unterschied wenn auch noch Geschlechterklisches bedient werden. Hier ist ein schönes Beispiel: http://www.berliner-kurier.de/panorama/missbrauchsskandal-kriegt-diese-lehrerin-lebenslaenglich–weil-sie-sex-mit-schuelern-hatte-,7169224,30387930.html

    Im unteren Kasten ist es die Lehrerin, die „verführt“. Bei männlichen Tätern hätte man wohl vom perversen Sex-Lehrer geschrieben, niemand hätte es gewagt, von Verführung zu schreiben.

    Merke: Frauen sind eben nicht nur die besseren Menschen, sie sind auch die besseren Kinderschänder.

  2. Es wird leider viel zu oft eine Stigmatisierung des Beschuldigten durch die Medien verursacht, die sich im Nachhinein oft nicht vollständig korrigieren lässt.

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