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Zehn Richter halten sich selbst für befangen

Befangenheit ist so ein Thema, das Richter nur äußerst ungern erörtern – sie selbst halten sich praktisch nie für befangen. Ganz anders nun am Landgericht Ingolstadt, wo sich gleich zehn (!) Richterinnen und Richter wegen Befangenheit selbst abgelehnt haben.

Schadensersatzklage in der Modellbau-Affäre

Die Richter am Ingolstädter Landgericht tun sich mit der juristischen Aufarbeitung der so genannten „Modellbau-Affäre“ schwer: Demnach haben viele Richter mit dem Landgerichtsarzt Hubert Haderthauer bereits zusammengearbeitet oder kennen ihn privat. Das allein reicht bei einem Antrag wegen der Besorgnis der Befangenheit freilich fast nie aus, um eine Ablehnung zu erreichen. Allerdings ist in dem Gebäudekomplex des Landgerichts auch die Dienststelle untergebracht, deren Chef Haderthauer seit mehr als 10 Jahren ist. Man pflegt sozusagen ein nachbarschaftliches Verhältnis. Eine Bekanntschaft reicht jedoch nicht aus, meint das OLG Hamm:

Im Regelfall wird etwa eine bloße Bekanntschaft oder auch eine lockere Freundschaft nicht ausreichen, um aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten bei vernünftiger Würdigung an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (…); dagegen können über das übliche Maß persönlicher oder kollegialer Bekanntschaft hinausgehende freundschaftliche Beziehungen oder gar eine enge Freundschaft zwischen Richter und Partei Umstände darstellen, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters begründen können.

Es steht natürlich außer Frage, dass die Richter, die sich nun bereits für befangen erklärt haben, in äußerst ehrenvoller Weise und fürsorglicher Wahrnehmung ihrer richterlichen Unabhängigkeit gehandelt haben.

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Die Modellbau-Affäre wartet nach wie vor auf eine juristische Aufarbeitung // Foto: Lupo / pixelio.de

Wir pflegen einen freundschaftlichen und kollegialen Umgang

Im Zusammenhang mit der „Modellbau-Affäre“ strebt der psychisch kranke Straftäter Roland S. gegen Hubert Haderthauer ein Zivilverfahren auf Schadensersatz an. Die Klage wurde schon Anfang Juli beim Landgericht Ingolstadt eingereicht und könnte längst beginnen, wenn sich denn ein Richter fände. Jetzt liegen die Akten beim nächsten, und auch der wird vermutlich zu dem Schluss kommen, dass sich aufgrund der langen Zusammenarbeit und zahlreicher dienstlicher Veranstaltungen ein freundschaftliches Verhältnis zu Haderthauer entwickelt hat, und dass sich dies auch auf die Frau des Beklagten, Christine Haderthauer, bezieht, deren Beteiligung an der Modellbaufirma in diesem Rechtsstreit ebenfalls thematisiert wird. Dies befürchtet zumindest die Süddeutsche Zeitung.

Ein Grund für die Befangenheit der Richter, sich dem Verfahren widmen zu wollen können, wäre so auch in der politischen Implikation des Falles zu suchen. Die Frage, wo wie viel Geld hängen blieb, dürfte mitentscheiden, ob es der bayerischen Staatskanzleichefin a.D. Harderthauer gelingt, ihre politische Karriere zu retten.

Insgesamt sind laut der Pressestelle übrigens 17 Richterinnen und Richter am Landgericht Ingolstadt tätig. Einige Male können die Akten somit noch von Tisch zu Tisch weitergereicht werden.

Nachtrag vom 09.12.2014: Es haben sich nun alle 17 Richterinnen und Richter am Landgericht Ingolstadt für befangen erklärt, so dass die Schadensersatzklage gegen Hubert Haderthauer an das Oberlandesgericht München abgegeben wurde.


13 Kommentare zu “Zehn Richter halten sich selbst für befangen

  1. Natürlich ist es für einen Richter schwierig in diesem Fall: Auf der einen Seite sitzt ein Dreifach-Mörder, auf der anderen Seite ein angesehener Gerichtsarzt und Gatte der Staatskanzleichefin, die zusammen vielleicht über viele Jahre den bösen Mörder mit sinnvoller Freizeitbeschäftigung versorgt haben. Gut, so richtig bezahlt wurde er nicht dafür, aber dafür ist er ja eben auch warm und trocken untergebracht. Wie will man da unbefangen urteilen?

    • @Modellbauer: Bist Du CSU-Wähler oder nur ein Troll?
      Es geht nicht um die Beschäftigung als solche, sondern um den daraus gezogenen Profit.
      Soweit dieser nicht dem Kläger zusteht steht er der Staatskasse zu: Diese hat die Kosten des Aufenthaltes gezahlt!

      Dein „an­ge­se­he­ner Ge­richts­arzt und Gatte der Staats­kanz­lei­che­fin“ ist mMn ein ganz gemeiner Betrüger und Gatte einer ganz gemeinen Betrügerin.

      • @Ann:
        Ironie verstehen Sie anscheinend nicht ohne Warnschild?

        In Ingolstadt wird sich ja vielleicht noch ein Proberichter finden, der noch nicht so lange da ist und den Herrn LG-Arzt mit Nebenerwerb vielleicht auch nicht ganz so gut kennt.
        Ich finde es jedenfalls erfreulich, dass die Richter Umstände offenlegen, die bei einem Kläger die Besorgnis (und die reicht nun einmal) der Befangenheit auslösen können.

        • @schneidermeister:

          Für die Menschen, die diese Ironie wiederum nicht verstanden haben:

          Das 10 Richter eine enge Freundschaft zu einem Gutachter haben und 10 Richter, die über die jeweilige Befangenheit entschieden haben keine solche zu dem jeweiligen abzulehnenden Richter haben, kann man als ausgeschlossen betrachten.
          Die erfreulichen ehrenvollen Umstände dürften ganz anderer Natur sein aber sie wirken.
          Wie sagte Norbert Blühm, er habe naiv an eine gerechte Justiz geglaubt wie ein kleines Kind.
          Es geht um den erfreulichen ehrenvollen naiven Glauben beim Betrachter.
          Frau Haderthauer war jedenfalls die Chefin der Staatskanzlei mit sehr guten Beziehungen zu den anderen Politikerkollegen.

          „Sollte es in der ‚Modellauto-Affäre‘ zu einem Gerichtsverfahren kommen, muss ein Richter über ein Mitglied der Bayerischen Staatsregierung urteilen, über dessen Karriere wiederum die Staatsregierung entscheidet. Es ist abzusehen, dass in so einem Fall schnell der Vorwurf der Befangenheit aufkommt. Benennung und Beförderung von Richtern liegen in Bayern in den Händen von Ministerien und Ministern. Das ist nicht mehr tragbar.“
          http://bundesjustizportal.de/bayern/item/196-f%C3%B6st-zu-haderthauer-aff%C3%A4re-bayern-braucht-unabh%C3%A4ngige-justiz.html

      • @Ann:

        Worüber man auch mal nachdenken müsste – wenn dort eine solche enge Freundschaft zwischen einem Gutachter und 10 Richtern besteht – welche Befangenheit muss dann bei denjenigen Richtern vorliegen, die jeweils über den Befangenheitsantrag und die Besorgnis der Befangenheit des Kollegen entscheiden.
        Die erklären sich alle aber gerade nicht für Befangen, sondern diese sind bei gleicher freundschaftlicher Lage völlig unbefangen und entscheiden stets nach den Wünschen des Kollegen.

        Da der Fall im Focus der Medien steht würde der entscheidende Richter in eben einem solchen Focus stehen und es könnten sicherlich noch ganz andere Dinge ans Tageslicht kommen.

        Aktenzeichen Reifenwechsel, Ermittlungen bestätigen: Bedienstete des Nürnberger Gerichts arbeiteten privat für Staatsanwälte und den Gerichtspräsident
        http://www.sueddeutsche.de/bayern/gerichts-affaere-aktenzeichen-reifenwechsel-1.34845

        Umgekehrte Welt für einen lächerlichen Versuch, den ich eher als Scherz verbuchen würde:
        http://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/4500-euro-strafe-fuer-versuchte-richterbestechung-8874516.bild.html

  2. Jetzt überlegen Sie doch mal einen Moment, was Sie geschrieben hätten, wenn einer der Richter, die „auf­grund der lan­gen Zu­sam­men­ar­beit und zahl­rei­cher dienst­li­cher Ver­an­stal­tun­gen ein freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis zu Ha­dert­hauer ent­wi­ckelt“ haben, die Sache behalten und nach Ablehnung des Befangenheitsantrags des Kl. zugunsten Haderthauers entschieden hätte.

    • @Gast: Ich habe Richter zumindest bisher immer als so abgegrenzt erlebt, dass sie trotz guter persönlicher Bekanntschaft ein unbefangenes Urteil fällen konnten, z.B. weil sie einen Parteivertreter aus dem Studium, der Kantine, der Mitgliedschaft in einem Verein kannten. Die Gründe für die zehnfache Selbstablehnung scheinen mir dagegen woanders zu liegen.

      • Es dürfte ein Unterschied sein, ob man den Parteivertreter (Anwalt) persönlich kennt bzw. ein freundschaftliches Verhältnis zu diesem hat oder die Partei.

        Dem Anwalt tut es normalerweise nicht weh, wenn sein Mandant verliert. Dem Mandant schon.

        • @Oliver Twist: Und was hat das damit zu tun, ob es einer Seite „weh tut“?

          Wenn sich der Richter aus verfahrensfremden Erwägungen einer Partei mehr verbunden oder verpflichtet fühlt als der anderen könnte er befangen sein. Ob er sich der Partei selbst oder deren Parteivertreter verbunden bzw. verpflichtet fühlt, dürfte dabei ziemlich egal sein.

          • @Strafakte.de:
            Die Verbundenheit gegenüber dem Parteivertreter wird nach meiner Kenntnis idR nicht ausreichend sein, es sei denn, es handelt sich um ein ganz enges Verhältnis. Nach teilweise vertretener Meinung reicht hinsichtlich des Parteivertreters nicht einmal Schwägerschaft aus; der BGH geht bei Eheleuten allerdings dann doch von Befangenheit aus.
            Und, ja, viele Parteivertreter kennt man ja als Richter entweder noch aus dem Studium/Referendariat oder nach einiger Zeit der Tätigkeit und wenn man nicht völlig asozial ist, achtet man ja doch nach Möglichkeit auf ein gutes professionelles Verhältnis; manchmal entwickeln sich dann auch mehr oder weniger enge Freundschaften. Wäre man bei jedenfalls nur lockerer Bekanntschaft oder sogar Freundschaft nicht mehr in der Lage, sich unvoreingenommen die Akten anzuschauen, könnte man den Beruf gleich an den Nagel hängen.
            So selten sind Massenselbstablehnungen von Richtern aber auch nicht; als zB die Ehefrau eines altgedienten Vorsitzenden an dem LG, an dem ich angefangen habe, klagte, haben nach meiner Erinnerung auch etwa 7 – 10 Richterkollegen Befangenheit angezeigt, weil sie – soweit gleichaltrig – eng befreundet mit ihm waren oder womöglich vor Prozesseinleitung schon mit ihm über die Sache gesprochen hatten. Bekommen hat letztendlich das Verfahren ein erst kürzlich an das LG gewechselter Vorsitzender, ein mit niemandem befreundeter Beisitzer und ein Proberichter.;)

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