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Paralleljustiz: Wenn Friedensrichter urteilen

Das Gewaltmonopol in Deutschland liegt beim Staat – das ist ein zentrales Element unseres Rechtsstaats. Dieses System muss von allen Menschen in diesem Staat akzeptiert werden, „egal, welcher Religion oder Nation sie angehören“.

Die große Koalition aus Union und SPD hat im Rahmen der Initiative „Law – Made in Germany“ insbesondere auf Drängen der CDU zwei Sätze im Koalitionsvertrag formuliert1, die sich in der Legislaturperiode dieser Thematik annehmen:

„Wir wollen das Rechtssprechungsmonopol des Staates stärken. Illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden.“

In Kreisen der Union wird befürchtet, dass die deutsche Justiz durch sog. Friedensrichter oder Scharia-Gerichte untergraben werden könnte. Damit sind Institutionen gemeint, die außerhalb des deutschen Rechtssystems – oder eben parallel dazu – Streitigkeiten schlichten, was häufig bei muslimischen Einwanderern in Großstädten wie Hamburg oder Berlin zu beobachten sei.

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Gibt es eine gefährliche Paralleljustiz in Deutschland? // Foto: Lonpicman (CC BY-SA 3.0)

In muslimischen Gesellschaften ist der Einsatz von Friedensrichtern üblich. Nur Männer dürfen als solche handeln, sie werden gerufen, wenn es zu Konflikten kommt, wenn Familien streiten oder sich jemand bei einem Kauf betrogen fühlt – doch auch bei Gewalttaten bieten Friedensrichter den Beteiligten an, die Sache beizulegen, meist gegen die Leistung von Geldzahlungen. Einige von ihnen haben diese Tradition mitgebracht, als sie nach Deutschland kamen.

Inwieweit eine solche Parallelrechtsprechung in unserer Gesellschaft etabliert ist, darüber gibt es bisher natürlich keine belastbaren Zahlen oder Untersuchungen. Außerhalb des Strafrechts sind Schlichtungsstellen und private Schiedsgerichte immer beliebter werdende Instrumente, mit denen versucht wird, eine einvernehmliche Lösung zwischen den Parteien herbeizuführen. Es ist also nicht generell verwerflich, privatrechtliche Streitigkeiten auch abseits von Gerichten beizulegen – solange rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt bleiben.

Weniger Gesetzgebung, mehr Sensibilisierung

Mit Forderungen nach Änderungen des Gesetzbuches ist die Union aber eher zurückhaltend. Der Schwerpunkt, sagt CDU-Abgeordnete Winkelmeier-Becker der FAZ, liege in der Erforschung der Strukturen, auf Information der Betroffenen und der Stärkung von Polizei und Gerichten:

„Wir müssen Migranten, die geneigt sind, sich an einen sogenannten Friedensrichter zu wenden, klarmachen, dass sie ihre Ansprüche mit staatlichen Gerichten in Deutschland durchsetzen können.“

Friedensrichter oder ähnliche Institutionen können die staatliche Justiz jedoch nur aushebeln, wenn Beteiligte von Streitigkeiten sich ihnen anvertrauen. Häufig würden Opfer einer Straftat gleich danach detailliert bei der Polizei aussagen, berichten Innen- und Rechtspolitiker, später im Strafverfahren ihre Aussage aber nicht wiederholen, sobald sich ein Friedensrichter eingeschaltet habe. Lediglich eine Aussage gegenüber einem Ermittlungsrichter könnte dann noch uneingeschränkt vor Gericht verwertet werden. Deshalb sollen Polizei und Staatsanwaltschaft künftig sensibilisiert werden, in einschlägigen Fällen eine schnelle richterliche Befragung nach der Tat herbeizuführen.

Strafvereitelung durch Friedensrichter?

Fraglich ist, ob in solchen Fällen nicht der Tatbestand der Strafvereitelung, § 258 StGB erfüllt ist. Spricht ein Friedensrichter oder Scharia-Gericht ein „Urteil“ und verhindert dadurch, dass ein Straftäter der staatlichen Justiz unterworfen wird, könnte es sich um Strafvereitelung handeln, sofern diese nicht zugunsten eines Angehörigen2 begangen wird.

Das ist freilich alles Theorie. Selbst wenn man die Anwendung der Strafvereitelung bejahen würde, bliebe die Beweisproblematik – schließlich wird man jedenfalls aus dem Kreis der streitbefangenen Parteien keine Hilfe erwarten können.3

 

  1. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD – 18. Legislaturperiode, S. 154 []
  2. vgl. den weiten Angehörigenbegriff in § 11 Abs. 1 StGB: Angehöriger, ist wer zu den folgenden Personen gehört: Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, auch im Sinne des LPartG, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist. []
  3. Eingehend: Joachim Wagner: „Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat.“ (Econ Verlag, Berlin, 2011) []

2 Kommentare zu “Paralleljustiz: Wenn Friedensrichter urteilen

  1. Der Strafanspruch des Staates ist ja eine schöne Sache – letztlich ist es aber nicht Pflicht eines Opfers, für die Bestrafung des Täters zu sorgen oder eine Straftat auch nur anzuzeigen.
    Sofern alle Beteiligten mit einer solchen Art von Mediation einverstanden sind, sehe ich darin kein erhebliches Problem – ich kann mir sogar gut vorstellen, dass dadurch Familienfehden verhindert/verringert werden können, weiß aber nicht, ob es dazu belastbare Erkenntnisse gibt.

    Das Risiko einer solchen nicht-staatlichen „Justiz“ liegt natürlich darin, dass Druck ausgeübt werden kann, zum Friedensrichter statt zur staatlichen Justiz zu gehen, alleine, weil das kulturell üblich ist oder der Täter nunmal nicht ins Gefängnis möchte. Dann kann dadurch kaum das Problem gelöst werden. Allerdings ist die Nötigung zur Aussageverweigerung auch schon lange bekannt – um nichts anderes wird es sich in solchen Fällen handeln.

    Zu einem abschließenden Ergebnis kann ich mich noch nicht ganz durchringen – aber das Problem scheint mir kleiner als beschrieben.

  2. Statt den Fingerzeig auf die deutlich unbürokratischeren Vorgehensweisen aufzunehmen, wird dagegen vorgegangen. Man kann so viel lernen, von den älteren Kulturen…

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