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Landgericht Hamburg hält „Puffgänger“ für zulässig

Die Pressekammer am Hamburger Landgericht gilt in bestimmten Kreisen der Blawgosphäre als „äußerungsfeindlich“, weil sie nicht selten im Sinne der Kläger entscheidet und streitbare Äußerungen häufig im einstweiligen Verfügungsverfahren untersagt. Einige Unverbesserliche haben deshalb den Namen „Zensurkammer“ für die 24. Zivilkammer in Hamburg geprägt.

Dass diese jedoch keineswegs immer im Sinne des Klägers entscheidet und unter Umständen sogar grobe Beleidigungen nicht untersagt, hat sie nun eindrucksvoll gezeigt: Der „Spiegel“-Journalist Matthias Matussek hatte sich aus unerklärlichen Gründen in die „Late Night Show“ von und mit Kurt Krömer (ARD) begeben und wurde dort – wie dies wohl häufiger vorkommen soll – auf das Übelste beleidigt. Er wurde nach einem Bericht des Tagesspiegels in dieser Show als „Puffgänger“ und „hinterfotziges Arschloch“ bezeichnet.

Per einstweiliger Verfügung wollte er die Ausstrahlung (geplant für heute Abend, 23:40 Uhr) vom Landgericht Hamburg untersagen lassen – die Pressekammer ließ ihn jedoch abblitzen und folgte seiner Auffassung nicht. Wer sich als medienerfahrener Journalist in eine solche Sendung begibt, hätte sich über dessen Konzept informieren müssen. Er könne sich deshalb nicht darauf zurückziehen, „überrumpelt“ worden zu sein. Durch seine Teilnahme habe er gleichzeitig auch in die Ausstrahlung der Sendung eingewilligt. In der Begründung führt das Landgericht Hamburg aus:

Die Ausdrücke „hinterfotziges Arschloch“ und „Puffgänger“ würden isoliert betrachtet zwar möglicherweise für das Vorliegen einer Formalbeleidigung sprechen, doch zusätzlich müsse der Kontext betrachtet werden, in dem diese Äußerungen gefallen seien. Kurt Krömer sei eine „Kunstfigur“, die sich „einer bewusst distanzlosen Sprache“ bediene, um seine Gäste in der Show „zu provozieren“. Die Äußerungen würden aber vom „durchschnittlichen Rezipienten“ nicht als Beleidigung empfunden, sondern als „drastisches Stilmittel“ und „Markenzeichen“ Krömers und dessen „Late Night Show“. Vor diesem Hintergrund seien diese Äußerungen im entsprechenden Kontext keine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne.

Diese Auffassung teilt Matusseks Anwalt Joachim Steinhöfel nicht: „Provokationen mögen in derartigen ‚Shows‘ üblich sein. Dass heißt nicht, dass eine derartige Sendung ein rechtsfreier Raum ist, in dem das überrumpelte Opfer seine Persönlichkeitsrechte an der Garderobe abzugeben hat. Ließe man sich diese Beleidigungen ohne Weiteres bieten, ist absehbar, dass Krömer in der nächsten ,Show‘ einen arglosen Gast als ,kinderschändenden Nazi‘ beschimpft“ – zitiert ihn der Tagesspiegel.

Noch am Donnerstag habe sich der Rechtsanwalt deshalb an das Oberlandesgericht Hamburg gewandt, um eine Ausstrahlung doch noch zu verhindern. Dass dem ganzen durch das Tragen der Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit ein gewisser „Streisand-Effekt“ innewohnt, lässt sich allerdings wohl nicht ernsthaft bestreiten.

Nachtrag vom 16.08.2013: Das Oberlandesgericht Hamburg hat sich am Mittwoch, 14.08.2013 der Entscheidung der Pressekammer angeschlossen und gibt der Satirefreiheit Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten von Talkshow-Dauergast Matussek. Hinzu komme, dass Matussek „sich selbst an diesem überzeichnenden Spiel beteiligt“ habe, als er Krömer eine „blöde Sau“ nannte. Er hätte stattdessen die Bühne verlassen können.

Nachtrag vom 11.08.2013: Die Sendung wurde tatsächlich gestern mit den beanstandeten Beleidigungen ausgestrahlt. Wer sich das tatsächlich antun will, hier geht’s in die Mediathek:

KRÖMER – Late Night Show (1/2013) mit Mary Roos und Matthias Matussek


11 Kommentare zu “Landgericht Hamburg hält „Puffgänger“ für zulässig

  1. Kurt Krömer, das ist doch der, der früher mal lustig war und jetzt nur noch seine stinkigen Neufreunde ins Fernsehen bringt – die mit Oppaklamotten, Bart und Schiebermütze, weil er selbst zu sowas transformiert ist. Was war ich froh, als die letzte Staffel nach Mitternacht versenkt wurde.

  2. Es soll sogar Anwälte geben, die ihre Mandanten zu aussichtslosen Verfahren verleiten. ;)

    • Soweit würde ich nicht gehen! Ich hätte die Chancen auf Unterlassung dieser derben Formalbeleidigungen eigentlich ebenfalls recht gut eingeschätzt …

  3. Steinhöfel argumentiert sinngemäß, Matussek habe durch die von ihm getätigte Äußerung „blöde Sau“ keinesfalls in einen allgemeinen Beleidigungsreigen eingestimmt, sondern sei lediglich der Situation ausgeliefert gewesen. Das Gegenteil dürfte aber wohl richtig sein, andernfalls hätte Matussek nicht auf Scherzebene erwidert und der Aufzeichnung bis zum Ende beigewohnt.

  4. Es kommt ja nicht nur drauf an, was gesagt wird, sondern auch wer es sagt. „Kurt Krömer“ – das ist öffentlich-rechtliches Qualitäts- und Bildungsfernsehen. Gewachsen auf dem Boden des Grundgesetzes und unverzichtbarer Pfeiler der fdGo. Eine Zensur ist in diesem Fall selbstverständlich unmöglich. Natürlich läge der Fall ganz anders, wenn es sich etwa um einen kulturzersetzenden Privatsender oder einen von diesen fürchterlichen Internetnutzern handeln würde, die aus niederem Kommerzinstinkt publizieren.

  5. Ihre Mediensicht kann juristisch nicht beeindrucken. Kurt Krömer ist eine Figur, die sich erkennbar humoristisch zwischen Ausbrüchen, Drohgebärden und Rückzug bewegt. Eine „Flitzpiepe aus Berlin“ eben. Mit diesem Konzept macht Krömer seit 10 Jahren Programm. Wer in eine derartige Show geht, weiss, was ihn erwartet. Wenn Steinhöfel meint, man gebe seine Persönlichkeitsrechte schließlich nicht an der Garderobe ab, so verkennt er nicht nur die Ausgangslage, dass nämlich von einer ernsthaften Formalbeleidigung gar keine Rede sein kann, er zeigt auch, dass er die einschlägige Rechtsprechung nicht drauf hat (vgl. Landgericht Nürnberg-Fürth 06.10.2000, Az. 16 S 2865/00). So versenkt man das Geld des Mandanten.

  6. Im Presserecht finde ich Ihnen immer in beide Richtungen Entscheidungen, wenn es sein muss, bis zum BVerfG. Darum geht es nicht. ;-)

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