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Straftaten rückläufig, aber U-Haft boomt

Trotz weniger registrierter Straftaten gibt es deutlich mehr Häftlinge in U-Haft: Seit 2014 ist die Zahl der Untersuchungsgefangenen im Bundesdurchschnitt um 25 Prozent deutlich gestiegen, in Hamburg dagegen sogar um 87 Prozent! Demnach hat die Hansestadt – bezogen auf die Einwohnerzahl – mit weitem Abstand die meisten Untersuchungsgefangenen aller Bundesländer.

Das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis ist rappelvoll: „Einzelne Hafträume, die es von der Raumgröße her zulassen und wo es einen abgetrennten Nassbereich gibt, belegen wir auch doppelt“, räumt Anstaltsleiter Henning Clasen gegenüber dem NDR ein. Die Haftplätze sind zu 92,7 Prozent belegt. Der Anteil ausländischer Gefangener liegt derzeit bei 57,8 Prozent und damit 39 Prozent höher als noch 2014.

Trister U-Haft Alltag wegen fehlenden Personals

Auch außerhalb ihres Haftraums spüren die Inhaftierten, wie voll das Gefängnis ist. Für Sportgruppen oder Kochkurse gibt es lange Wartelisten. Besucher können teilweise pro Monat nur für zwei Stunden kommen, da Beamten für die Aufsicht fehlen. Schließlich sind selbst Jobs rar, die wichtig sind, da sich viele Gefangenen nur so einige Zusatzeinkäufe wie Kaffee oder Zigaretten leisten könnten: Für die derzeit 465 Insassen gibt es nur 120 Jobs. Die Folge: Keine Abwechslung im tristen Alltag und häufiger Einschluss.

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Das Untersuchungsgefängnis Hamburg-Holstenglacis (Strafjustizgebäude) Foto: Strafakte.de

U-Haft schafft Rechtskraft

Die Untersuchungshaft soll allein sicherstellen, dass ein Prozess stattfinden kann, ohne dass der Beschuldigte vorher flüchtet oder Zeugen einschüchtern kann. Der mit Abstand häufigste Haftgrund ist Fluchtgefahr. Jeder Strafverteidiger kann ein Lied davon singen, dass Untersuchungshaft zuweilen gezielt eingesetzt wird, um die Beschuldigten zu einem Geständnis zu bewegen. In Hamburg werden Haftgründe mit Deckung durch das Hanseatische Oberlandesgericht als Beschwerdegericht teilweise sehr exzessiv ausgelegt. Hier sei beispielsweise an die „Kleindealer“-Entscheidung des HansOLG erinnert.

„Die Praxis entscheidet sehr unterschiedlich, wann sie selbst findet, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt ist oder nicht.“, meint auch die Greifswalder Strafrechtlerin Christine Morgenstern. Eine große Rolle spiele aber auch Druck von außen, etwa durch Medien.

Gerichtssprecher Kai Wantzen meint, es handele sich hauptsächlich um „ausländische Tatverdächtige, die in Hamburg oder generell in Deutschland ohne jede soziale Anbindung leben“. Deshalb liege es für ihn auf der Hand, „dass sie verschwinden würden und für das weitere Verfahren nicht mehr zur Verfügung stehen würden“, wenn man sie nicht in U-Haft nehmen würde.

Die Zahlen im Detail

In Deutschland gab es am 31. August 2018 13.628 Untersuchungsgefangene. So verteilt sich der Anstieg auf die Bundesländer:

  • Bremen: 130 (+91%)
  • Hamburg: 658 (+87%)
  • Berlin: 799 (+43%)
  • Baden-Württemberg: 1.906 (+40%)
  • Sachsen-Anhalt: 230 (+39%)
  • Rheinland-Pfalz: 568 (+34%)
  • Thüringen: 240 (+27%)
  • Nordrhein-Westfalen: 2.875 (+24%)
  • Sachsen: 652 (+23%)
  • Bayern: 2.975 (+14%)
  • Niedersachsen: 739 (+11%)
  • Mecklenburg-Vorpommern: 157 (+10%)
  • Saarland: 148 (+9%)
  • Hessen: 1.043 (+9%)
  • Schleswig-Holstein: 208 (+2%)
  • Brandenburg: 207 (-2%)

3 Kommentare zu “Straftaten rückläufig, aber U-Haft boomt

  1. Interessant ist der Hinweis auf die Macht der Medien. In Frankreich geht diese Macht sogar noch weiter und beschränkt sich nicht allein auf die U-Haft, sondern auch auf das weitere Verfahren, wenn nicht sogar auf das Urteil. „Das sind wir der Öffentlichkeit und den Medien schuldig“, sagte der Richter zu einer uns bekannten Anwältin in einem stark mediatisierten Prozess. Sowohl zum Thema „Gewaltenteilung“…

  2. Das dürfte mit den Ereignissen ab Sommer/Herbst 2015 zusammenhängen, dass man sich eine Klientel ins Land geholt hat, die kriminologisch zur anfälligsten gehört (männlich in der Altersgruppe bis 25 Jahre), deren Identität (zu „geboren am 1.1.“ oder wie in den afghanischen Tazkiras „dem äußeren Erscheinungsbild nach X Jahre“ ) völlig ungeklärt ist, wenn überhaupt irgendwelche echt erscheinenden Dokumente vorhanden sind.

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