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Hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit

Über die Strafverfahren um die Ausschreitungen gegen die geplante Neonazi-Demo anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens in der Südvorstadt am 19. Februar 2011 habe ich hier bereits verschiedentlich berichtet.

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„Dresden nazifrei“ Demonstration 2011 gegen Nazi-Aufmarsch // Foto: tonal decay „Im Brennpunkt“ (CC BY-NC-SA 2.0)

Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Dresden

Nun beschäftigte ein Berufsverfahren gegen einen mutmaßlichen „Rädelsführer“ das Landgericht Dresden. Tim H., ein 38 Jahre alter, nicht vorbestrafter Familienvater, wurde im Januar 2013 vom Amtsgericht Dresden wegen Beleidigung, Körperverletzung und besonders schweren Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten „pur“ verurteilt, also ohne Bewährung. Durch ein Megafon und mit dem Aufruf „Kommt nach vorne!“ soll dieser einen Pulk Autonomer zum Durchbruch einer Polizeisperre aufgefordert und später noch einen Polizeibeamten beleidigt haben. Das Urteil zielte offenbar auf eine abschreckende Wirkung.

Das Schöffengericht stützte seine Verurteilung auf ein Beweisvideo, das eine Sonderkommission der Polizei zusammengestellt hatte.

Entlastende Szenen und weiteres Videomaterial dem Gericht vorenthalten

Das Urteil des Landgericht Dresdens sprach den Verurteilten am Dienstagabend vom Vorwurf des besonders schweren sowie des einfachen Landfriedensbruchs frei und verurteilte ihn stattdessen wegen der Beleidigung zu 90 Tagessätzen zu je 45 Euro. Damit gilt er weiterhin als nicht vorbestraft. Die Verteidigung zeigte sich einerseits erfreut über das Urteil des Landgerichts, aber andererseits überaus erbost über die Vorgehensweise der Polizei:

Es ist doch der Hammer, dass hier Leute ins Gefängnis kommen, weil ein Polizist ein Video derart zusammenschneidet, dass es für die Anklage passt. Und dann sehen wir in der ungeschnittenen Version, wie nur eine Sekunde, nachdem das offizielle Polizeivideo endet, noch vier weitere Personen mit Megafon durchs Bild laufen.

Das dem Gericht vorgelegte Polizeivideo war demnach so bearbeitet worden, dass entlastende Szenen entfernt und weiteres Videomaterial gänzlich vorenthalten wurde. Das sei zumindest „hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit“. Man stelle sich hier doch „erschreckt die Frage, in wieviel anderen Verfahren das einfach so durchläuft“, resümierte die Verteidigung im Plädoyer.

An der Grenze der Rechtsstaatlichkeit: Ohne Verteidigung ein Fehlurteil

Das Gericht sah es ähnlich, hielt sich in der mündlichen Urteilsbegründung mit dem Vorwurf der Beweismittelmanipulation jedoch zurück. Das Video der Polizei sei „praktisch nicht brauchbar und bis zur letzten Sekunde nicht authentisch“, erklärte der Vorsitzende Richter und lobte ausdrücklich die Arbeit der Verteidiger, die ein weiteres Video vorgelegt hatten: Die „gute Arbeit der Verteidigung“ sei eigentlich Aufgabe der Polizei gewesen. Stattdessen habe sie sich „vorschnell“ auf „den Großen“ eingeschossen. „Alles andere wurde ignoriert.“

Auf die Idee, überhaupt nach weiteren Videos oder weiteren Megafonen zu suchen, war die Verteidigung allerdings nur gekommen, weil bereits der Prozess gegen den Stadtjugendpfarrer von Jena, Lothar König von selektiven Videoaufnahmen als Beweismittel geprägt war.

Die Staatsanwaltschaft hatte übrigens – oh Wunder – an ihren Vorwürfen festgehalten, aber eine mildere Bewährungsstrafe von acht Monaten wegen überlanger Verfahrensdauer beantragt, weil sich das Verfahren bereits über Jahre hinzog.


3 Kommentare zu “Hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit

  1. Die Beamten, die das Video manipuliert haben, sollten freiwillig ihren Hut nehmen. Sie sind eigentlich nicht Würdig eine Uniform zu tragen. Aber auch der Staatsanwalt sollte mal in den Spiegel schauen und prüfen, ob er seinen Job wirklich anständig gemacht hat. Justizia sollte blind und vorurteilsfrei sein!

  2. Vor dem Hin­ter­grund die­ser no­mi­nell mut­maß­li­chen Ver­fol­gung Un­schul­di­ger durch die säch­si­schen Be­hör­den be­darf es wohl kei­ner wei­te­ren Er­ör­te­rung wa­rum die Rechts­ex­tre­men so­wie ih­nen häu­fig zu­ge­rech­nete Or­ga­ni­sa­tio­nen wie z.B. “Pe­gida” sich in Dres­den un­ge­hin­dert aus­brei­ten können.

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