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Die Unschuldsvermutung hat ihre Unschuld verloren

Sicherlich, für Beschuldigte in einem Strafverfahren gilt die Unschuldsvermutung. Doch was ist diese noch wert, wenn der publizistische Voyeurismus unverantwortlich und grenzenlos ist? In diesem Punkt ist Heribert Prantl recht zu geben. Doch auch die Süddeutsche Zeitung hat die Vorwürfe sofort „gemeldet“ und damit weiterverbreitet, ursprünglich übrigens unter dem Titel „Verdacht auf Kinderpornografie – Polizei durchsucht Wohnung von SPD-Politiker“.

Neue Dimension der medialen Vorverurteilung

Die Vorverurteilung hat eine neue Dimension erreicht, in dem nun schon Fotografien aus der Wohnung des Beschuldigten veröffentlicht werden, während dort noch eine Durchsuchung stattfindet. Diesmal war es allerdings nicht das große Boulevardblatt, sondern eine bis dato unbekannte Lokalzeitung, die nun selbst bundesweite mediale Aufmerksamkeit genießt. Es bedarf der Aufklärung, woher die Journalisten diese Informationen hatten und warum die staatlichen Machtorgane nicht eingeschritten sind, wenn Persönlichkeitsrechte eines Beschuldigten offensichtlich mit Füßen getreten werden. Die Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 [371]). Wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft solche brisanten Informationen durchsickern lassen kann dies ein Rechtsstaat nicht dulden. Beschuldigte werden durch ein Gericht verurteilt, nicht durch die Presse.

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Unschuldsvermutung in den Medien: Alle reden darüber – niemand hält sich daran // Foto: H.-J. Paulsen / Fotolia.com

Der zuständige Oberstaatsanwalt Thomas Klinge erklärt gegenüber den Medien zwar, dass er nicht befugt sei, irgendwelche Informationen zu geben. Dumm nur, dass er ausgerechnet die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer oder sonst jugendgefährdender Schriften bei der Staatsanwaltschaft Hannover leitet. Da kann sich wirklich jeder Auflagensklave eins und eins zusammenzählen.

Die ethische Verantwortung der Presse für die Unschuldsvermutung

Justitia ist blind. Das gilt sowohl für den Täter wie auch den Tatvorwurf. Medien sollten sich ihrer Verantwortung endlich bewusst werden und nicht alles, was sie vielleicht zu wissen glauben, ungefiltert veröffentlichen. Allzu schnell haben sie eine Existenz komplett zerstört. Denn wie uns die Vergangenheit gelehrt hat, bleibt immer „etwas hängen“. Man denke etwa nur an die TV-Moderatoren, die einer Vergewaltigung beschuldigt wurden, die sich später als offensichtlich unwahr herausstellte. Es kommt geradezu einem Feigenblatt gleich, dass heute sämtliche Zeitungen über die Unschuldsvermutung als wichtigsten Grundsatz des Rechtsstaats berichten, nachdem sie allesamt die Vorwürfe ausgeschlachtet haben.

Schon in der Präambel stellt der Pressekodex die ethische Verantwortung der Medien heraus. Doch was nützen all die schönen Worte, wenn sich niemand daran hält?


11 Kommentare zu “Die Unschuldsvermutung hat ihre Unschuld verloren

  1. Die einzige Chance die bleibt wäre dann die Persönlichkeitsrechtsverletzung konsequent und mit aller Härte zivilrechtlich zu verfolgen, um diejenige nabzuschrecken, die diese Persönlichkeitsrechte verletzen. Ich gehe sogar davon aus, dass einigen Ermittlungsbehörden eine emntsprechende negative Presseberichterstattung sehr genehm ist, wenn damit schon eine öffentliche mediale Vorverurteilung einhergeht….

    Die wenigsten Justiz-Opfer haben jedoch in so einer Situation die Kraft sich auch noch medienrechtlich zur Wehr zu setzen

  2. na ja, dass in einem Kaff wie dem Wohnort Edathys die Lokalpresse, die sonst über Kaninchenzüchter und Unfallflucht berichten muss, in Windeseile erfährt, wenn vor dem einzigen ehemaligen Bundespolitiker ein paar Autos auffahren mit Hannoveraner Kennzeichen ist einigermaßen nachvollziehbar. Wie man gegen einen Fotografen einschreiten will, wenn man gerade drinnen in einer Wohnung ist und auf welcher Rechtsgrundlage (Störung der Durchsuchung, also Annexkompetenz aus 161 StPO wohl nicht; polizeirechtlich nach SOG? Zwingend zum Schutz privater Rechte? Bei der BVerwG_Rechtsprechung dazu, dass sogar unmaskierte SEK -Beamte beim Ausführen von Häftlingen fotografiert werden dürfen?) ist mir nicht so ganz klar.

    Die Heuchelei der Medien, die erst einmal die Klicks für die Meldung einheimsen und sich dann in der weiteren Verwertungskette in Kommentaren ganz rechtsstaatlich geben, ist in der Tat maßlos. Aber wenn man sich schon mal selbst zur Vierten Gewalt ernannt hat, kann es in dieser dünnen Luft wohl auch zu Wahrnehmungsstörungen kommen. Übrigens ist ja auch der Spiegel nicht ganz alleine, wenn es um halblegal erlangte Aufnahmen geht. Die Äußerungen des Tebartz-van Elst zu FirstClass/BusinessClass, die zum Verfahren wegen falscher Versicherungen an Eides Statt führten, hat der Spiegel-Reporter ganz offensichtlich auch heimlich aufgenommen, wie man aus der Kameraperspektive schließen kann.

  3. Wenn man fies ist könnte man auch sagen, daß der Hr. E. auch seine eigene Medizin zu kosten bekommt. Er war einer derjenigen, der die anlasslose Vorratsdatenspeicherung als eine der tollsten Ideen seit Erfindung des Klopapiers empfand. Nach dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Wieso hat erplötzlich ein Problem damit wenn ein Kriminalbeamter sein Wohnung durchsucht und der dabei fotografiert wird ? Wenn er nichts zu verbergen hat? Ich weiss, nicht alles was hinkt ist auch ein Vergleich, aber ein wenig Häme sollte da schon erlaubt sein

  4. Das entscheidene ist doch das es sich bei der Operation Spaten um FKK-Filme handelt die wohl mindestens bis zur Rechtsreform 2008 legal waren. Zudem steht wohl in den Ermittlungsakten zu anderen Hausdurchsuchungen in diesem Fall ganz klar drin das Filme von Azov nicht als kinderpornografisch einzustufen sind. Die Justiz führt hier mal wieder Hausdurchsuchungen in mehreren Fällen durch, in der Hoffnung auch böse Dinge finden zu können, ohne jeglicher Rechtsgrundlage. Selbst einige wenige Medien sprechen mittlerweile von „Posing“ und wenn man dann bedenkt das viele der jetzt noch verfolgten Fälle aus einer zeit vor der Rechtsreform stammen, ist es mehr als fragwürdig.

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