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Körperverletzung auf Rezept

Der Arzt ist ein notorischer Körperverletzer: Sämtliche Heilmaßnahmen, angefangen bei einer Tetanusimpfung bis hin zur Amputation eines Armes, sind tatbestandlich in den §§ 223 ff. StGB zu verorten. Trotzdem wundert es nicht, dass sich nicht täglich tausende Ärzte vor einem Strafgericht verantworten müssen. Sollen doch ihre Therapien unsere Gesundheit, ja gerade unser Wohl, für die Zukunft sichern und stärken. Die grundsätzlich begrüßenswerte Zielsetzung lässt das Strafrecht allerdings unberücksichtigt. Es bewertet die Tatumstände, wie sie sich zum Zeitpunkt der Tathandlung begeben haben. Ärzte holen daher vor jedem Eingriff die Einwilligung des Patienten ein, mit der Folge, dass die Körperverletzung nicht rechtswidrig ist. Insbesondere sind im Arzt- und Medizinstrafrecht drei Formen der Einwilligung zu unterscheiden:

1. Die erklärte Einwilligung

Generell erfolgt die Patienteneinwilligung in Form einer ausdrücklichen schriftlichen Erklärung. Dabei ist dem Spannungsfeld zwischen der fachlichen Überlegenheit des Arztes und dem verfassungsrechtlich verbrieften Grundrecht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit geschuldet, dass an die Wirksamkeit einer solchen Erklärung hohe Anforderungen zu stellen sind.1 Um selbstbestimmt und frei entscheiden zu können, muss der Patient über alle wesentlichen Umstände des Eingriffes, insbesondere über Art, Umfang und Risiken aufgeklärt werden (§ 630e BGB). Zur Sprache kommen muss dabei allerdings nicht jede medizinische Einzelheit; viel eher genügt ein laienfreundlicher Überblick des „Großen und Ganzen“.2

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In der Praxis soll der Patient im Rahmen eines sog. Arztgesprächs aufgeklärt werden. Wenn es zu einem medizinrechtlichen Streit kommt, erhält der Patientenanwalt in der Regel nur den unterschriebenen Aufklärungsbogen, der allein jedoch nicht die wirksame Aufklärung beweist. Mit ihm sind aber erhebliche prozessrechtliche Konsequenzen für den Patienten verbunden. Trägt der Arzt in einem Zivilstreit grundsätzlich die Beweislast einer ordnungsgemäßen Aufklärung (§§ 630e, 630h BGB), bewirkt der Aufklärungsbogen deren Umkehr, mit der Folge, dass nun der Patient beweisen muss, dass ein ordnungsgemäßes Aufklärungsgespräch nicht stattgefunden hat. Aufgrund der starken Indizwirkung des Aufklärungsbogens, wird dies dem Patienten regelmäßig zum Fallstrick. Gleichzeitig dient er jedoch dem Arzt als Schutz vor Anschuldigungen des Patienten, dass er über die streitige Tatsache nicht aufgeklärt worden sei.

2. Die mutmaßliche Einwilligung

Manchmal kann eine Einwilligungserklärung nicht mehr (rechtzeitig) eingeholt werden, etwa bei einem Notfall oder weil sich ein aufklärungspflichtiger Umstand erst während einer laufenden Operation herausstellt. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass der Arzt gehalten ist, die Behandlung abzubrechen, um nicht in die Gefahr der strafrechtlichen Haftung zu geraten. Kann der Arzt darlegen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in diesen konkreten, durch den betreffenden Arzt vorgenommenen Eingriff, eingewilligt hätte, so macht er sich nicht der Körperverletzung strafbar.3 Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch die Persönlichkeit des Patienten zu würdigen. Ob der Patient mutmaßlich eingewilligt hätte, ergibt sich aus einer Wahrscheinlichkeitsprognose. Die faktisch fehlende Einwilligung kann dann durch eine mutmaßliche Einwilligung ersetzt werden, wenn im Sinne eines Wahrscheinlichkeitsurteils anzunehmen ist, dass der Patient auch in diesen Eingriff eingewilligt hätte, wenn die Möglichkeit der Aufklärung bestanden hätte.4

In der Praxis erweisen sich meist jene Fälle als problematisch, in welchen ein über das ursprüngliche Operationsziel hinausgehender alternativloser Eingriff erfolgen muss, obwohl hierfür keine Einwilligung vorliegt.5

3. Die hypothetische Einwilligung

Von der mutmaßlichen Einwilligung ist die hypothetische Einwilligung abzugrenzen. Beiden ist gemein, dass der Patient nicht ausdrücklich in den Eingriff eingewilligt hat. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass der Anwendungsbereich der hypothetischen Einwilligung dann eröffnet ist, wenn der Behandelnde tatsächlich die Möglichkeit gehabt hat, den Patienten vollumfänglich aufzuklären, er von ihr aber in regelwidriger Weise keinen Gebrauch gemacht hat. Kann der Arzt darlegen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den vorgenommenen Eingriff eingewilligt hätte, so soll er sich nicht der Körperverletzung strafbar machen. In der Praxis ist die Figur der hypothetischen Einwilligung und deren Einzelheiten, gerade im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, umstritten. Seine Grenzen findet die hypothetische Einwilligung jedoch, wenn der Eingriff nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Erfolgt die Behandlung nicht lege artis, so ist die tatbestandliche Körperverletzung nicht gerechtfertigt und somit strafbar.6 Die Rechtsprechung erkennt die hypothetische Einwilligung ohnehin nur in bestimmten Fallgruppen an.7

Ein Gastbeitrag von Timo Lumb.

  1. BVerfGK 4, 203 []
  2. BGH NJW 2010, 3230 []
  3. BGH NJW 2003, 2012 []
  4. BeckOK StGB/Eschelbach, StGB, § 228, Rn. 28 []
  5. Fischer, StGB (63. Aufl. 2016) § 223, Rn. 16. []
  6. BGH NStZ 2008, 150, 151. []
  7. Zu den Einzelheiten: OLG Bamberg, Urt. v. 15.09.2003 – 4 U 11/03; OLG Brandenburg, Urt. v. 17.07.2008 – 12 U 221/07 []