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Litigation-PR zur Herstellung der Waffengleichheit

Spektakuläre Prozesse sind in jüngerer Zeit zu Instrumentarien der Medien um die intimsten Informationen, die besten Bilder und die höchste Auflage geworden. Wird die Justiz tätig, sind die Medien oft live dabei, als wären sie vorab von den einzelnen Prozessbeteiligten eingeladen worden.  Natürlich ist eine solche Berichterstattung in Strafermittlungsverfahren quotenreich und schlagzeilenträchtig – vergessen wird dabei aber, dass mehr als Dreiviertel aller Verfahren eingestellt werden. Diese enorme Aufmerksamkeit birgt darüber hinaus die erhebliche Gefahr einer medialen Vorverurteilung, denn längst ist die Presse zur vierten Gewalt und Blogs sowie der Bereich Social Media zur fünften Macht im Staat geworden.1

Litigation-PR als Mittel der Strafverteidigung zur Herstellung der Waffengleichheit im Strafprozess

Foto: HHS / pixelio.de

Und sind Journalisten einmal auf ein laufendes Ermittlungsverfahren aufmerksam geworden, ist „No Comment“ regelmäßig die falsche Strategie. Das Problem: Wer nichts sagen möchte, gibt damit auch seine Deutungshoheit auf. Und wer verbietet es, sich selbst zu verteidigen und über sein laufendes Verfahren Auskünfte zu erteilen? Später ist dann häufig lapidar zu lesen: „Der … war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.“ Zwischen den Zeilen verbleibt jedoch der Eindruck, dass jemand nichts sagt, weil sie oder er etwas zu verbergen hat.2

Die Stunde der PR-Profis

Hier schlägt die Stunde von PR-Profis, die für diese strategische Krisenkommunikation eine eigene Gattung geschaffen haben: die Litigation-PR. Deren erklärtes Ziel ist es, die Position des Mandanten darzustellen und damit die oft einseitige Medienschlacht zu relativieren, um so eine ausgewogenere Medienberichterstattung zu erreichen.

Man könnte dies schlicht als „Wiederherstellung der Waffengleichheit“ bezeichnen. Auch erfahrene Journalisten wie die „Spiegel“-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen halten die PR für wichtig: „Betrachtet man die einseitigen Kampagnen, die einzelne Medien in spektakulären Fällen inzwischen treiben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Art von Werbung funktioniert. Denn trotz behaupteter Unabhängigkeit: So manches Gericht schreckt vor allzu unpopulären Urteilen zurück.“3

In einer Umfrage gab jeder dritte Richter und jeder zweite Staatsanwalt an, Berichte über seine Fälle „ganz gezielt“ zu verfolgen4

Die Frage „schuldig oder nicht schuldig“ hänge von der medialen Meinung zwar nicht ab. Aber die Höhe der Strafe durchaus, sagte jeder vierte Richter und jeder dritte Staatsanwalt. Und fast jeder zweite Richter gab zu, er denke vor brisanten Urteilen über die öffentliche Reaktion nach – „ein wenig“ jedenfalls.

Litigation-PR als Chance oder Bedrohung?

Je nach Standpunkt könnte man die Litigation-PR also zugleich als Chance oder Bedrohung begreifen. Die Position der Rechtsprechung hat der Präsident des Bundesgerichtshofs Klaus Tolksdorf im Jahr 2010 ausgegeben, als er von einem „Sturmangriff“ sprach und dringend davor warnte, „über die Medien Einfluss und Druck auf Richter auszuüben“. Sein Aufruf galt indirekt auch den Medien – die selbstverständlich aufpassen müssen, sich nicht vor fremde Karren spannen zu lassen.5

Diesem Standpunkt ist nur bedingt zuzustimmen, denn im Wesentlichen sind es oft gerade die (Boulevard-) Medien, die versuchen „Stimmung zu machen“. Vielmehr geht es um den Schutz der Reputation und Persönlichkeitsrechte von mehr oder minder bekannten Beschuldigten im Strafverfahren. Und noch eine andere Wahrheit muss berücksichtigt werden: Was ist mit Klaus Zumwinkel, einst Post-Chef, dann vor wartenden Fernsehkameras abgeführt? Wer informierte die Medien? Wie ist es mit Banker und Manager, die aus der Zeitung von Ermittlungsverfahren gegen sich erfahren? Darf der Gesundheitszustand einer Pop-Sängerin in staatsanwaltlichen Pressemitteilungen kommuniziert werden? Wie kommen psychologische Fachgutachten aus Vergewaltigungsfällen an die Öffentlichkeit? Schon länger klagen Strafverteidiger, dass häufig übereifrige Staatsanwälte die Kommunikation dominieren.6 Die Staatsanwaltschaft hat zwar die Aufgabe, über die Medien die Öffentlichkeit über den Stand ihrer Ermittlungen und den Prozess zu informieren – das gebieten schon der demokratische Transparenzgrundsatz und das jeweilige Landespressegesetz. Sie müssen dabei aber die Wirkkraft von Informationen im Auge behalten, die über Medien verbreitet werden, denn Beschuldigte und Angeklagte dürfen nicht vorverurteilt oder gar „sozial hingerichtet“ werden.7

Im Mittelpunkt der Kommunikationsplanung stehen deshalb vielmehr die Verhandlungen vor Gericht. Die Strafverfahren sind in aller Regel öffentlich, das bedeutet: Fernsehteams vor dem Gerichtsgebäude, Fotografen auf den Fluren und Journalisten im Gerichtssaal gehören zum Alltag. Die bloße Anwesenheit von Journalisten auf den Zuhörerbänken hat Einfluss auf das Verhandlungsklima.8 Schließlich vermitteln auch Aktenordner, die sich der Angeklagte vor das Gesicht hält oder mangelnder Ernst von Prozessbeteiligten keinen vorteilhaften Eindruck. Die Journalisten auf den Zuhörerbänken sind zudem juristische Laien und das Recht kompliziert. Die Berichterstatter sind deshalb oftmals froh, wenn ihnen jemand die juristischen Details erklärt und für Erläuterungen zur Verfügung steht.

Wie aufgezeigt, ist für Litigation-PR im Strafprozess ein breites Anwendungsfeld abseits einer Beeinflussung von Richtern oder Staatsanwälten vorhanden. Sie stellt lediglich einen weiteren Baustein einer effektiven Strafverteidigung dar und ist geeignet, das Gleichgewicht zwischen medialem Übereifer und verständiger Prozessberichterstattung wiederherzustellen. Zugleich tritt eine geeignete Litigation-PR im Sinne der Waffengleichheit dem Beschuldigten zur Seite, der sich regelmäßig allein nicht sinnvoll gegen das überbordene Medieninteresse verteidigen kann. Schließlich hilft sie im Nachgang eines Verfahrens, „die Scherben zusammenzukehren“ und das ergangene Urteil im entsprechenden Kontext sachgerecht zu kommunizieren.

 

  1. Unverzagt: Zusammenwirken zwischen PR und Jura, im: PR-Podcast von Scheidtweiler PR []
  2. Gostomzyk: Die Gesetze der Medien gelten auch für Anwälte, in: FAZ vom 16.06.2009 []
  3. Walther: Im Namen des Rechts?, in: medium:online 09/2010 []
  4. Amann: Manipulation im Gerichtssaal, in: FAS vom 19.09.2010 []
  5. Akyol: Pressearbeit im Sinne des Angeklagten, ZEIT Online am 11.11.2010 []
  6. Amann: Manipulation im Gerichtssaal, in: FAS vom 19.09.2010 []
  7. Boehme-Neßler: Die Öffentlichkeit als Richter?, in: ZRP 2009, 228 []
  8. Prinz: Öffentlichkeitsarbeit im Umfeld von Gerichtsprozessen, in: Pressesprecher II/2010 []

3 Kommentare zu “Litigation-PR zur Herstellung der Waffengleichheit

  1. Danke. Fundierter Beitrag zur Litigation-PR hinsichtlich des Strafrechts. Wir von NAÏMA Strategic Legal Services GmbH konnte bereits viele Male anhand von medienwirksamen juristischen Auseinandersetzungen (sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht) die Wirksamkeit von effektiver und strategisch sinnvoller Litigation-PR nachweisen. Allerdings möchte ich anmerken, dass der Mittelpunkt der Kommunikationsplanung nicht die Gerichtsverhandlung selbst ist. Unsere Hauptarbeit findet während der Ermittlungsphase bis zur Vorlage der Anklageschrift statt, dann nämlich, wenn die Staatsanwaltschaften durch ihre öffentlichen (und nichtöffentlichen) Statements ein Bild des Beschuldigten zeichnen, dem etwas entgegengesetzt werden muss. Dies haben wir auch in unserem Buch „Im Namen der Öffentlichkeit“, dem deutschsprachigen Standardwerk beschrieben, das leider keinen Eingang in die Literaturliste des Beitrags gefunden hat. http://www.jurabiblio.de/2013/05/holzinger-wolff-im-namen-der-offentlichkeit-litigation-pr.html

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