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Der Rechtsstaat ächzt, doch er wird verteidigt

Am kleinen Amtsgericht Laufen in Bayern verläuft dieser Tage die letzte Verteidigungslinie deutscher Rechtsordnung. Allein im August wurden 115 Haftbefehle gegen Schleuser erlassen – fast alle von einem Richter. Mehr als 700 Schleuser sitzen gerade in Untersuchungshaft in Bayern – alle Haftanstalten sind längst bedenklich überbelegt. Tatvorwurf: Verstoß gegen § 96 AufenthG (Aufenthaltsgesetz), weil die Rumänen, Ungarn oder Ukrainer Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland gebracht haben sollen, Haftgrund: Fluchtgefahr.

Alle Ausreden schon gehört

Um die Haftanstalten zu entlasten wird in Schnellverfahren geurteilt. Jeden Montag und Freitag – den „Schleusertagen“ – wird im Viertelstundentakt verhandelt. 74 solcher Verfahren hat der Richter aktuell auf seinem Schreibtisch – alle mit dem roten Aufkleber „Haft“. Bei der Taktung bleibt keine Zeit für lange Erklärungen, wie Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung berichtet:

Ein Anwalt kündigt an, sein Mandant wolle noch mal ausführen, wie das war, als er die Flüchtlinge ins Auto lud. Der Richter fällt ihm ins Wort. Wenn der Angeklagte Schwierigkeiten mache, wenn er mit Zeugen komme, die alles erklären wollen, wenn gar Folgetermine anfallen, dann müsse er den Fall auf November vertagen. Das hieße: zwei Monate länger Untersuchungshaft. Der Anwalt winkt ab, nein, nein, kein Problem.

Im Moment ist das kleine Gericht kein Ort von detaillierter Zeugenbefragung oder ornamentaler Plädoyers. Das Amtsgericht Laufen versteht sich vielmehr als vorderstes Bollwerk gegen all jene, die die Grenzen niedertrampeln, als letzte Verteidigungslinie deutscher Rechtsordnung.

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Rechtsstaat in Gefahr? Die Bundesrepublik Deutschland führt wieder Grenzkontrollen ein // Foto: motograf (CC BY 2.0)

„Der Schutzzweck der Norm geht ins Leere“

Auch beim Strafmaß wird nicht lange abgewogen: Ein bis zwei Jahre auf Bewährung für eine „gesittete Schleusung“ und wenn der Fahrer zum ersten Mal erwischt wird. Gesittet meint, dass jeder Flüchtling zumindest einen Sitzplatz und einen Sicherheitsgurt hat. Das Gegenteil sind die „Viehtransporte“ wie es im Polizeijargon heißt: Menschen, zu Dutzenden zusammengepfercht auf der Ladefläche, die in alten, kaum verkehrssicheren Transportern und ohne Pausen über die Grenze gekarrt werden wie Tiere. Dafür gibt es keine Bewährung mehr – wer Menschen wie Ware behandelt, geht in den Knast.

Die Einschleusung hat besorgniserregend Ausmaße angenommen. Dieser Tendenz muss mit Freiheitsstrafen begegnet werden.

Ein Rechtsanwalt an diesem Tag sieht das anders: Angesichts der neuen ‚Einreisemöglichkeiten‘ – verordnet von oberster Stelle – gehe der Schutzzweck der Norm ins Leere, diese „besonderen Umstände“ müssten beim Strafmaß berücksichtigt werden. Und auch wenn die meisten Fahrer nur kleine Rädchen in einem großen System seien – wer mitmacht und mitprofitiert, wenn Flüchtlinge schamlos ausgenutzt und menschenunwürdig behandelt werden, habe auch eine Freiheitsstrafe verdient.


3 Kommentare zu “Der Rechtsstaat ächzt, doch er wird verteidigt

  1. Auch hier gab es gestern wieder eine journalistische Glanzleistung:
    Bei Frontal 21 wurde das Amtsgericht Laufen zum Landgericht erhoben. Obwohl man mit Kamerateam da war, Sitzungssaal nebst Angeklagten gefilmt und einen Pressesprecher interviewt hat….

  2. Erpressungen von Gerichten sind nicht selten. Sitzt man erst in Haft geht das Spielchen los. Entlastung bedeutet längeres sitzen! Also wird nach Aktenlage entschieden. Widerspruch zwecklos, warum werden dann Verteidiger bestellt?

  3. „Ein Rechts­an­walt an die­sem Tag sieht das an­ders: [..] Und auch wenn die meis­ten Fah­rer nur kleine Räd­chen in ei­nem gro­ßen Sys­tem seien – wer mit­macht und mit­pro­fi­tiert, wenn Flücht­linge scham­los aus­ge­nutzt und men­schen­un­wür­dig be­han­delt wer­den, habe auch eine Frei­heits­strafe verdient.“ Falls auch der zweite Satz ein indirektes Zitat des RAs darstellt handelt es sich bei ihm offenbar um eines jener widerlich weichgespülten Exemplare, welche faktisch einen Tauschhandel „Pflichtmandat gegen suboptimale Verteidigung“ eingehen.

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