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Ethikrat: Inzest sollte nicht strafbar sein

Wenn erwachsene Geschwister sexuell miteinander verkehren, machen sie sich gem. § 173 StGB strafbar; und zwar auch dann, wenn der Sex einvernehmlich ist. Der Deutsche Ethikrat hat heute eine ausführliche Stellungnahme zum Inzest-Verbot veröffentlicht und empfiehlt darin, das strafrechtliche Verbot aufzuheben. Das Strafrecht sei nicht das richtige Mittel, die Gesellschaft vor moralisch und sittlich geprägten Tabus zu bewahren.

Konkret lautet die Empfehlung des Ethikrates (Seite 72 ff. der Stellungnahme), die mit einer Mehrheit von 14 Stimmen bei 9 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen getroffen wurde:

  • Die Bestrafung des einvernehmlichen Beischlafs unter erwachsenen Geschwistern (über 18 Jahre) sollte entfallen: „Die Mehrheit des Deutschen Ethikrates ist der Auffassung, dass das Strafrecht nicht das geeignete Mittel ist, ein gesellschaftliches Tabu zu bewahren“. Das Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung sei in diesen Fällen stärker zu gewichten als das abstrakte Schutzgut der Familie – zumal dem Ethikrat ausschließlich Fälle bekannt geworden seien, in denen Halbgeschwister nicht gemeinsam aufwuchsen und sich erst im Erwachsenenalter kennenlernten.
  • Aufgehoben werden sollte des Weiteren die Strafbarkeit des einvernehmlichen Beischlafs unter Geschwistern, wenn einer der Partner über 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist und die Geschwister nicht beziehungsweise hinreichend lange nicht mehr in einem Familienverbund zusammenleben und die künftige Wiederherstellung eines solchen Verbundes nach objektivem Ermessen nicht zu erwarten sei.

Rechtliche Verbindlichkeit hat die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates allerdings nicht.

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Sex unter Geschwistern: Ethikrat empfiehlt Änderungen am Inzest-Paragrafen // Foto: Oliver Thaler / pixelio.de

Im Interview mit dem „Spiegel“ hatte sich kürzlich auch Thomas Fischer für eine Abschaffung des Inzest-Paragrafen ausgesprochen:

Den Inzest zwischen erwachsenen, frei verantwortlichen Personen halte ich für nicht strafwürdig. Es handelt sich um freiwillige, einverständliche sexuelle Betätigung zwischen verständigen Menschen. Hier hat sich der Staat herauszuhalten. Alles, was da an Legitimation von Strafverfolgung ins Feld geführt wird, hält rationaler Betrachtung nicht stand. Manches ist sogar empörend, etwa das Argument, dass die Gesundheit potenziell entstehender Kinder zu schützen sei. Dann müsste man ja auch alle Frauen einsperren, die vor, während oder nach der Schwangerschaft rauchen oder trinken (…)

Bereits im Jahr 2008 äußerte auch der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht Winfried Hassemer in seinem Sondervotum zu BVerfGE 120, 224 (ab Rn. 73 ff.) Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Geschwisterinzests:

Strafrecht ist ultima ratio, ist das letzte verfügbare Mittel, um einen Belang der Allgemeinheit zu schützen, und kommt deshalb nur in Betracht, wenn das inkriminierte Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das Zusammenleben der Menschen unerträglich, wenn seine Verhinderung besonders dringlich ist. (…) Die Strafbarkeit des Geschwisterinzests begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Verfügbarkeit anderer hoheitlicher Maßnahmen, die den Schutz der Familie in gleicher Weise oder sogar besser gewährleisten können.

Der Auslöser der Diskussion ist der Fall eines Geschwisterpaares aus Sachsen, das vier Kinder zeugte. Bruder und Schwester wurden verurteilt und klagten bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um das Urteil aufzuheben – ohne Erfolg.


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