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Die Rechtswirklichkeit der Hauptverhandlung

„Ich habe den Glauben an die Justiz verloren“, so beginnt der Vortrag von Dr. Ulrich Sommer auf dem Herbstkolloquium 2014 der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltsverein unter dem Titel: „Die Rechtswirklichkeit der Hauptverhandlung“. Er zitiert damit die Aussagen seiner Mandanten am Ende einer Hauptverhandlung: „Das habe ich mir nie vorstellen können: Diese Arroganz, dieser Flegel, diese Unfairness.“

Ausführlich widmet sich Sommer zuallererst der Dominanz von Polizeibeamten für das gesamte Strafverfahren, die er als die entscheidenen „Autoren des Drehbuchs“ bezeichnet:

Es gibt gute Polizisten. Wir sehen das jeden Sonntag Abend im Tatort. Meine Beobachtungen in der Akte gehen allerdings dahin, dass die meisten offensichtlich zum Tatort abgezogen wurden.

Im Weiteren wird auch sehr sehenswert die Rechtswirklichkeit der Rolle der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der deutschen Richterschaft eingehend beleuchtend.

Der Vortrag vom 14. November 2014 in München ist hier anzusehen:


2 Kommentare zu “Die Rechtswirklichkeit der Hauptverhandlung

  1. Es ist ein seltsamer Widerspruch: Richter leben davon, sich schnell ein Urteil bilden zu müssen, genau das sollen sie aber nicht tun, sondern erst nach der Beweisaufnahme. Das ist aus psychologischer Sicht gar nicht so einfach. Wenn man dann noch überlegt, dass in vielen Fällen direkt im Anschluss ein Urteil gesprochen wird und zumindest rudimentär begründet werden muss, kann man sich eigentlich vorstellen, dass es nahe liegt, das Ergebnis der Beweisaufnahme dem Urteil anzupassen und nicht umgekehrt.

    Richter müssten eigentlich einer ständigen psychologischen Supervision und Fortbildung unterliegen, Vorurteile und psychologische Mechanismen zu erkennen und entsprechend handeln zu können.

  2. Möglichweise ist die Ermittlung des second code, also des Rechts hinter der sichtbaren Rechtsordnung, eine der wichtigsten Aufgaben des Anwalts. Das kann schwer werden: offizielle Desinformation und Information, eigene Quellen, Quellen anderer, Quellen von Mandanten, Internetquellen, Whistleblower-Veröffentlichungen, WikiLeaks und anderes müssen ausgewertet und mit dem Gesetzestext abgeglichen werden. Das führt zu einem Bild, welches gar nicht der geglaubten Realität von Anwaltsserien oder Tatort usf. entspricht, so dass man einen Glauben nicht verlieren kann, der nicht vorhanden ist, sehr wohl aber das
    gemeine Pubikum und der rechtssuchende Bürger, verloren im „Schloss“.

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