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Zuverlässigkeit eines Fingerabdrucks als Beweismittel

Bislang schien klar: Der Fingerabdruck am Tatort überführt einen Täter zweifelsfrei. Allerdings sind Fingerabdrücke möglicherweise nicht so einmalig, wie uns Wissenschaftler lange glauben ließen – zumindest enthüllen aktuelle Studien ein erhebliches Fehlerpotential.

Die Daktyloskopie – die Auswertung der Papillarlinienbilder zur Identifizierung von Personen – gehört seit etwa einhundert Jahren zu den kriminaltechnischen Ermittlungsmethoden. Dabei werden folgende verschiedene Merkmale des Fingerabdrucks unterschieden:

  • Grundmuster
  • grobe Merkmale: Schleifen, Bögen, Windungen
  • feinere Merkmale: Minutien
  • Porenstruktur

Im Wesentlichen beruht Daktyloskopie auf drei Grundannahmen:

  • die Papillarleisten der Finger sind individuell und nicht vererbbar
  • sie sind von ihrer Ausbildung im Embryonalstadium an relativ unveränderlich
  • sie sind nach bestimmten Prinzipien klassifizierbar und damit registrierbar.

Da sich die feinen Strukturen als Ergebnis eines zufälligen Prozessess im Wachstum der Finger herausbilden, haben selbst eineiige Zwillinge unterschiedliche Fingerabdrücke.

Zuverlässigkeit von Fingerabdruck als Beweismittel im Strafverfahren

Sind Fingerabdrücke nicht so einmalig wie gedacht? // Foto: ZDF/Jeremiah Crowell; Providence Pictures Production

Das eigentliche Problem beginnt aber damit, dass die Daktyloskopie im frühen 20. Jahrhundert von der Kriminaltechnik „monopolisiert“ wurde, so dass – bis heute – die Identifizierung mittels eines Fingerabdrucks nie streng nach wissenschaftlichen Maßstäben auf ihre Fehleranfälligkeit untersucht wurde.1 Diese Technik konnte sich trotzdem als feste Größe unter den forensischen Verfahren etablieren, obwohl sich diese im Wesentlichen auf das nie bewiesene Postulat stützt, dass zwei verschiedene Personen keine identischen Fingerabdrücke haben können. Begründet wurde diese These oftmals durch Berechnungen des britischen Wissenschaftler Francis Galton, in dessen Ergebnis die statistische Wahrscheinlichkeit, zwei Menschen mit absolut identischen Fingerabdrücken zu finden, bei eins zu 64 Milliarden liege.

Im Jahr 2009 veröffentlichte die amerikanische Akademie der Wissenschaften allerdings einen Bericht, der sich mit der Güte forensischer Methoden auseinandersetzt. Das erstaunliche sowie zugleich erschreckende Fazit: Außer bei einer Identifizierung von Personen durch DNA-Analyse ist die Aussagekraft forensischer Verfahren bisher kaum untersucht und belegt worden.

Rechtliche Wertung eines Fingerabdrucks in Deutschland

In Deutschland wird das Problem noch nicht breit diskutiert. Der Identitätsnachweis in einem Strafverfahren gilt als geführt, wenn bei einer Nichterkennung des Grundmusters 12 Minutien oder bei Erkennbarkeit des Grundmusters 8 Minutien übereinstimmen. Der Beweiswert eines Fingerabdrucks geht zurück auf das Urteil des BGH vom 11.06.1952 – 3 StR 229/52:

Ein Tatrichter, der seine Überzeugung von der Täterschaft des Beschuldigten auf das Beweisanzeichen der an den Tatorten festgestellten und nach den wissenschaftlichen Grundsätzen der sogenannten Daktyloskopie sorgfältig ausgewerteten Fingerabdrücke des Täters stützt, begeht damit keinen Verstoß gegen Rechtsnormen des Strafrechtes oder gegen allgemeine Erfahrungssätze der Wissenschaft.

Dabei hat es der Bundesgerichtshof genügen lassen, wenn solche Fingerabdruckspuren in 9 bis 14 Merkmalen übereinstimmen. Dies sieht man in Europa durchaus anders: In Spanien sind bei Erkennbarkeit des Grundmusters nicht acht sondern zehn Minutien notwendig – in der Schweiz und Großbritannien 12, in Italien sogar 16 Minutien.2 Wo will man also die Grenze ziehen?

Neben der grundlegenden Frage, ob es für den Fingerabdruck als Beweismittel überhaupt eine wissenschaftliche Basis gibt, ist vor allem relevant, wie es sich mit solchen Fingerspuren verhält, die tatsächlich bei polizeilichen Ermittlungen eine Rolle spielen: den latenten Fingerabdrücken, die am Tatort gefunden werden. Diese seien oft von fragwürdiger Qualität: mal fragmentarisch, mal unscharf, manchmal liegen zwei Abdrücke übereinander. Kritiker haben regelmäßig darauf hingewiesen, dass es Menschen gibt, die sehr ähnliche Papillarmuster aufweisen, so dass schon kleinste Unsauberkeit eines Abdrucks Unterschiede verwischen kann.3

Debatte in den Vereinigten Staaten

Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hatte 1993 im Fall Daubert gegen Merrell Dow Pharmaceuticals neu bestimmt, welchen Kriterien eine bestimmte Methode genügen muss, um als wissenschaftlich zu gelten – nur auf diese Art gewonnene Erkenntnisse werden als Beweise zugelassen. Zuvor hatte die „allgemeine Anerkennung“ eines Verfahrens ausgereicht.

Im Jahr 1999 kam es mit U.S. v. Byron Mitchell zum ersten Prozess, bei dem dessen Verteidigung die Wissenschaftlichkeit eines Vergleichs von Fingerabdrücken bestritt. Um das Gericht von der Verlässlichkeit der Technik zu überzeugen, hatte die Bundespolizei mit der Bitte „The FBI needs your immediate help!“ die Fingerabdrücke des Angeklagten an alle 50 forensischen Labore der Bundesstaaten geschickt, um sie mit den am Tatort abgenommenen Abdrücken zu vergleichen. Peinlicherweise sahen sieben Labore beim ersten Abdruck vom Tatort und fünf der Labore bei einem zweiten Abdruck keine ausreichende Übereinstimmung mit den Fingerabdrücken dieses Angeklagten. Hochgerechnet bedeutet dies eine Fehlerrate von 10 bis 15 Prozent – jede andere Wissenschaft wäre damit erledigt.

Nach dem Kriminologen Simon A. Cole werden allein in den Vereinigten Staaten jedes Jahr um die 1.000 falschen Vergleiche vorgenommen. Er hat für seine Untersuchung, die unter dem Titel „More than Zero: Accounting for Error in Latent Fingerprint Identification“ in der Zeitschrift Journal of Criminal Law & Criminology veröffentlicht wurde, die bekannt gewordenen Fehler in Finderabdruckvergleichen seit 1920 untersucht. Die meisten Fehler sind lediglich durch Zufälle bekannt geworden – beispielsweise durch einen DNA-Test nach der Verurteilung des Täter oder durch die Untersuchung einer ausländischen Behörde. Im Vergleich mit Fehlerraten in anderen forensischen Identifizierungsmethoden geht Cole davon aus, dass bei Fingerabruckvergleichen sicher von einer Fehlerrate zwischen mindestens 0,2 bis 2,5 Prozent auszugehen sei, vermutlich aber liege die Fehlerrate höher. Wenn sie nur technisch erfolgt, wird die Fehlerrate auf bis zu 10 Prozent geschätzt, werde die Auswertung von Sachverständigen überprüft, sinke die Fehlerrate beträchtlich – wenn eben auch nicht auf Null.

Für Aufsehen in der Öffentlichkeit sorgte die Verhaftung des Rechtsanwaltes Brandon Mayfield als Terrorverdächtiger für die Anschläge in Madrid aufgrund einer fehlerhaften Identifizierung. Sein Fingerabdruck war dem des Algeriers Ouhnane Daoud sehr ähnlich. Erst die Überprüfung durch einen Sachverständigen zeigte, dass der Fingerabdrucksvergleich falsch war.

Auch andere Untersuchungen zeigten, wie subjektiv geprägt die wissenschaftliche Analyse sein kann. Itiel Dror und Ailsa Péron von der University of Southhampton führten einen Test mit fünf Experten durch, die überprüfen sollten, ob ein latenter Fingerabdruck mit einem Fingerabdruck übereinstimmt, der von einem Verdächtigen stammt. Den Testpersonen wurde erzählt, dass die Fingerabdrücke diejenigen seien, die dem vom FBI irrtümlich als Terrorist verhafteten Mayfield zugeschrieben worden seien. In Wirklichkeit erhielt jeder Gutachter je ein Paar Fingerabdrücke, das er bereits früher für ein Gericht als identisch beurteilt hatte. Nur ein Experte erkannte, dass sein Paar identisch war – drei erklärten, sie würden nicht übereinstimmen, einer meinte, es läge für ein Urteil ungenügende Informationen vor. Das Ergebnis lässt darauf schließen, dass in eine Beurteilung in erheblichem Maße auch begleitendes Kontextwissen einfließt.

Andere forensische Verfahren auf dem Prüfstand

Doch nicht nur die Daktyloskopie ist wissenschaftlich umstritten: Ebenso die Untersuchung von Bissspuren und Blutspritzern, die ballistische Analyse von Projektilen und die Identifikation von Schuhsohlenabdrücken müssen sich jetzt Fragen nach ihrer wissenschaftlichen Zuverlässigkeit gefallen lassen. In keinem dieser Verfahren gibt es hinreichend viele Untersuchungen, die etwa eine Abschätzung der Fehlerrate erlauben würden.

Die Dokumentation „Angeklagt: Forensik“, die 3sat anlässlich ihrer Themenwoche „Strafe und Gerechtigkeit“ ausstrahlte, will die Unfehlbarkeit gängiger forensischer Methoden hinterfragen. Anhand einiger spektakulärer Justizirrtümer, die alle auf falschen forensische Untersuchungen basierten, kritisiert die Sendung fehlende wissenschaftliche Standards, fehlende Kontrolle und dürftige Richtlinien für Gutachter. Außerdem werden neue technische Verfahren vorgestellt, so etwa die virtuelle Leichenschau und Laservermessung mit 3D-Modellen von Tatorten.

* Angeklagt: Forensik (Dokumentation in der ZDF Mediathek)

 

  1. Andreas Dewald: „Formalisierung digitaler Spuren und ihre Einbettung in die Forensische Informatik“ (Diss. Erlangen, 2012)  []
  2. Weihmann, Kriminaltechnik: Kap. 4.4 – Menschliche Ab- und Eindruckspuren, Daktyloskopie []
  3. heise Telepolis: Angelika Jockers, Hat der Fingerabdruck ausgedient? []

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