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Entsexualisiertes Sexualstrafrecht

Die Konsequenz aus der Affäre Edathy soll einmal mehr sein, das Strafrecht zu verschärfen. So sollen zukünftig Herstellung, Verbreitung und Besitz unbefugt erstellter Nacktaufnahmen unter Strafe stehen – dass es dafür in Wirklichkeit kein neues Gesetzes braucht, hat Udo Vetter schon hier sehr gut ausgeführt. Aber Bundesjustizminister Heiko Maas will noch einen Schritt weiter gehen und „bloßstellende“ Bilder von Kindern und von Erwachsenen pönalisieren – über eine Erweiterung des § 201a StGB. Nicht nur für Strafrechtsdogmatiker eine gruselige Vorstellung.

Wie kann man ein subjektives Empfinden verobjektivieren?

Der § 201a StGB schützt bisher den höchstpersönlichen Lebensbereich vor Bildaufnahmen, hat also systematisch mit dem Sexualstrafrecht – geregelt in den §§ 174 ff. StGB – rein gar nichts zu tun. Außerdem: Was bedeutet „bloßstellend“, wo fängt das an, wo hört das auf? Wenn man einmal auf Facebook u.ä. unterwegs ist, kann man sehen, wie sich unzählige Menschen dort selbst bloßstellen. Die Schamgrenze, was der Einzelne subjektiv als „bloßstellend“ empfindet, dürfte naturgemäß recht unterschiedlich verlaufen.

Hysterisch entsexualisiertes Sexualstrafrecht

Übrig bleibt ein entsexualisiertes Sexualstrafrecht bzw. sexualisiertes Persönlichkeitsstrafrecht, wie Heribert Prantl es in der „Süddeutschen Zeitung“ nennt. Dieser gesetzgeberische Aktionismus ist wenig hilfreich:

Es ist gut, wenn das Recht sensibel ist. Nicht gut ist es, wenn es hysterisch wird. Hysterisch wird es dann, wenn öffentliche Erregung über einen Skandal oder eine echte oder vermeintliche Straftat ungefiltert ins Strafgesetzbuch fließt. Genau das passiert gerade.

Im Prinzip würden alle Fotos von un- oder leicht bekleideten Kindern darunter fallen, auch wenn diese objektiv keinerlei sexuellen Bezug aufweisen. Dieser völlig falsche Ansatz hat eine gemeinsame Stellungnahme von Strafrechtlern, Kriminologen forensischen Psychiatern und Psychotherapeuten hervorgebracht, die auch wir unterstützen möchten.

Der gesamte Text der Stellungnahme, die bei Criminologia mitgezeichnet werden kann, lautet:

1. Mediale Vorverurteilung
Sebastian Edathy hat legale Nacktfotos von Jungen gekauft. Der fundamentale Rechtsgrundsatz: „Keine Strafe ohne Gesetz“ hat die mediale Vorverurteilung nicht verhindert. Und die Unschuldsvermutung hat Strafverfolgungsbehörden nicht daran gehindert, voreilig Informationen an die Medien zu geben.

2. Ruf nach Ausweitung der Gesetze
Stattdessen werden jetzt Forderungen zur Ausweitung des StGB laut, wodurch Nacktfotos von Kindern zur Kinderpornographie hochgestuft werden sollen. Euphemistisch wird dies als „Schließen von Schutz- und Gesetzeslücken“ bezeichnet.

3. Folgen medialer Skandalisierung
Die mediale Skandalisierung zeigt Folgen: Polizei, Justiz, Vollstreckungsorgane und Psycho-Fachleute achten heute mehr auf das Medienecho als auf fachliche Arbeit. Bei Sexualdelikten kommt es längst nicht mehr auf Zahlen oder Steigerungsraten an; jeder Einzelfall wird ikonisiert.

4. Notwendigkeit interdisziplinärer Arbeit
Der Diskurs „über den sexuellen Missbrauch von Kindern” ist weit über sein Ziel hinausgeschossen. Deshalb ist eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit diesem Diskurs erforderlich. Ideologisierte Verallgemeinerungen machen die Lage von Geschädigten nicht besser; ihr Leid ernst zu nehmen bedeutet Geschädigte und Täter zu behandeln.

5. Fatales Schweigen der Experten
Die Risikogesellschaft ist auf Experten angewiesen: wenn diese versagen, werden Bürger unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt. Viele Experten verstummen aus Angst vor dem Verlust beruflicher und privater Reputation, vor öffentlichen und vor medialen Vorwürfen, man nehme das Leid der Opfer nicht ernst oder wolle Täter schützen. Mit diesem Schweigen wird der erregte Diskurs über Sexualdelikte immer mächtiger.

6. Gefahr einer Kriminalisierung der Jugendsexualität
Es steht zu befürchten, dass die gesamte Jugendsexualität durch öffentliche Skandalisierung und drohende Strafverfolgung kriminalisiert wird. Pädagogen in Heimen wissen nicht mehr, wie sie auf Fragen und Anliegen von Kinder- und Jugendlichen zu (einvernehmlicher) Sexualität reagieren dürfen. Groß ist die Furcht vor Medien und vor Konsequenzen durch Aufsichtsbehörden und Jugendämter. Allein der Begriff „Sexualpädagogik“ löst Assoziationen zu Heimskandalen der jüngeren Vergangenheit aus. Das behindert jede fachliche Debatte über den rechtlichen Auftrag, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – und dabei auch ihre Sexualität zu berücksichtigen.

7. Weitere Verschärfungen des Strafrechts sind deshalb nicht hilfreich.

 

Nachtrag: In diesem Zusammenhang sehr lesenswert ist ein Interview mit Sebastian Scheerer auf Legal Tribune Online.


6 Kommentare zu “Entsexualisiertes Sexualstrafrecht

  1. Ich denke, dieser Gesetzentwurf war längst überfällig. Er ist eine berechtigte Reaktion auf das allgemeine öffentliche Unverständnis über die juristisch unscharfe Abgrenzung, die dazu führte, dass die von Edathy gekaufen Bilder juristisch als legal gelten. Und auf die allzu lasche Urteilspraxis der Justiz in Fällen von sexuellem Missbrauch / Gewalt und Verletzungen der Intim- und Persönlichkeitssphäre von Opfern.

    Angemessene Urteile bei Sexualstrafen werden doch leider oft erst unter dem massiven öffentlichen Druck gefällt, ansonsten gilt es, vor allem Verständnis für den Täter zu haben und auch wirklich noch den letzen albernen Umstand zu dessen Gunsten zu werten und die Strafe zu reduzieren. Das Opfer wird zum bloßen Tatobjekt degradiert und soll sich möglichst heraushalten, wird bestenfalls am Rande gehört und geduldet. Selbst mehrfach straffällige Wiederholungstäter werden milde bestraft und sogar von Gutachtern als gefährlich eingestufte Psychopathen nicht in Sicherungsverwahrung genommen. Muss halt ein weiteres Opfer dran glauben, damit man ihn wieder für ein paar Jahre aus dem Verkehr ziehen kann.

    Der Vergleich mit Menschen, die sich selbst öffentlich zum Affen machen, geht fehl. Jede/r kann das für sich selbst machen, wie er/sie möchte. Wenn aber Bilder von Dritten missbraucht werden, ist dies sehr wohl zu unterbinden. Wenn die Justiz dies nicht entsprechend würdigt, muss eben der Gesetzgeber die Grenzen neu ziehen.

    Und dann anzuführen, dass die Jugendsexualität kriminalisiert wird. Hier sind einfach Richter mit Augenmaß gefordert. Die scheinen mir nur selten zu sein.

    • @ Andreas:

      Recht so, immer feste druff – und alles schön vermischt und vermengt: Nacktbilder, sexuellen Missbrauch, Gewalt, Sexualstrafen und all diesen ganzen Schweinkram, vorzugsweise begangen von Psychopathen!

      Genau für Leute wie Sie ist dieser Gesetzentwurf gemacht – und die denken auch nicht darüber nach, warum Fachleute vor derartigem juristischen Unfug nur warnen können.

    • Zitat: Und auf die allzu la­sche Ur­teils­pra­xis der Jus­tiz in Fäl­len von se­xu­el­lem Miss­brauch / Ge­walt und Ver­let­zun­gen der In­tim– und Per­sön­lich­keits­sphäre von Opfern.

      Wie kommen Sie zu solchen Thesen? Kennen Sie die „Urteilspraxis“ der Justiz in Fällen von sexuellem Missbrauch, weil sie in der Justiz arbeiten oder meinen Sie nur eine solche Praxis zu „kennen“, weil Sie darüber regelmäßig in der Boulevardpresse lesen? Seien Sie versichert, dass Sie dort jeweils nur die paar Fälle lesen, die nach dem „gesunden Volksempfinden“ mit zu niedrigen Strafen endeten. Was fast immer jedoch nicht mitgeteilt wird, sind nähere Umstände der Tat, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden und somit der Presse gar nicht bekannt sein können. Das mögliche Spektrum von sexuellem Missbrauch ist weit – auch auf die Taten am ganz unteren Ende der Skala (was Laien nicht einmal als Missbrauch einstufen würden) muss angemessen reagiert werden – und dann gibt es eben nur eine Bewährungsstrafe. Das ist in der einen Zeitung allerdings nicht zu lesen!

      Zitat: Das Op­fer wird zum blo­ßen Tat­ob­jekt de­gra­diert und soll sich mög­lichst her­aus­hal­ten, wird bes­ten­falls am Rande ge­hört und ge­dul­det.

      Das ist riesengroßer Unfug! Seit es das Institut der Nebenklage gibt wird das Opfer vollständig in den Prozess eingebunden, kann über einen Anwalt jeweils Akteneinsicht erhalten, hat Anwesenheitsrecht – kann also am gesamten Prozess (nicht nur einmalig als Zeuge) teilnehmen, kann eigene Anträge stellen und bekommt das Recht auf ein Plädoyer bzw. kann eine bestimmte Strafe beantragen.

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