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Mindestens ein Verbrechen?

Hohe (Mindest-) Strafen zeigen im Strafrecht keine präventive Wirkung – das zeigen alle Studien. Die meisten Straftaten werden aus einem spontanen Entschluss heraus und ohne vernünftige Abwägung hinsichtlich der Folgen begangen. Davon unbeeindruckt meint die Politik die Strafen immer weiter erhöhen zu müssen, aktuell die für den sexuellen Missbrauch von Kindern und für Kinderpornografie, die nun zum Verbrechen werden sollen. Doch ist das wirklich sinnvoll?

Bestandsaufnahme

Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist gemäß § 176 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht. Das ist aber nur der Strafrahmen für jeden einzelnen Fall innerhalb dessen der Richter die konkrete Strafe bestimmen kann. Der sexuelle Missbrauch kann vergleichsweise harmlos vonstatten gehen oder sehr schwerwiegend sein – letztere Fälle sind allerdings von § 176a StGB erfasst. Bei diesem schweren sexuellen Missbrauch beträgt die Strafe nicht unter zwei Jahren und reicht theoretisch bis zur Höchststrafe von 15 Jahren. Und jetzt kann man sich fragen: Was soll ein Täter bekommen, der ein Kind beiläufig kurz und kaum wahrnehmbar über der Kleidung am Po berührt? Bei schwerwiegenden Fällen stellt sich die Frage freilich gar nicht, denn bei einer Mindeststrafe von zwei Jahren ist die Aussetzung der Strafe zur Bewährung praktisch ausgeschlossen.

Oft wird eine mögliche Traumatisierung des Kindes als Grund für härtere Strafen ins Feld geführt. Aber ist das wirklich so? Ist ein Kind lebenslang traumatisiert durch den einmaligen, kaum bemerkten Griff an den Po? Oder resultiert die Traumatisierung vielmehr aus dem folgenden Strafverfahren? Hier sind quälende Befragungen meist unumgänglich und härtere Strafen führen zu allererst zu mehr Verteidigungsaktivitäten. Ob diese im Einzelfall sinnvoll und zielführend sind, darf angezweifelt werden. Gut gewollt heißt nicht immer gut gemacht!

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Nun sollen aber nicht nur die Strafen für sexuellen Missbrauch erhöht werden, sondern auch für die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie. Die Verbreitung, der Erwerb und das öffentlich Zugänglichmachen sind derzeit mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in gewerbsmäßigen Fällen oder als Mitglied einer Bande von sechs Monaten bis zu zehn Jahren strafbar. Hier soll jede Tat, also die Verbreitung einer Datei mit mindestens einem Jahr und somit als Verbrechen bestraft werden.

Noch drastischer erweisen sich die Pläne für den Besitz von Kinderpornografie: Hier soll die Strafe für jede Datei von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren auf mindestens ein Jahr angehoben werden. Es würde also gar keinen Unterschied mehr machen, ob jemand ein Bild nur besitzt oder sogar verbreitet.

Verbrechen und Bewährung

Derartige Fälle zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass die Täter jeweils viele hunderte, tausende oder gar hunderttausende solcher Dateien auf ihren Festplatten speichern. Die Einstiegsschwelle markiert dann die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe. Die Strafe könnte dann jedoch nur zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn ganz besondere Umstände vorliegen. Häufig ist die Mindeststrafe jedoch völlig belanglos, eben weil die Täter derartig viele Dateien auf ihren Computern verwahren.

Die Fälle sind aber auch deshalb besonders, weil die Täter meist nicht pädophil sind, sondern im Gegenteil häufig sogar selbst in der Kindheit Opfer sexuellen Missbrauchs, von Vernachlässigung oder Misshandlung geworden sind. Ganz überwiegend handelt es sich um höchst unsichere Beschuldigte mit geringem Selbstwertgefühl, die im Leben ohnehin schon ein großes Paket mit sich herumzutragen haben. Was sollen diese Täter im Gefängnis? Wäre es nicht viel sinnvoller, ihnen eine vernünftige Therapie zuteil werden zu lassen? Diese findet im Gefängnis wenn überhaupt nur sehr eingeschränkt statt.

Warum mischt sich die Politik überhaupt in die Strafzumessung ein? Hat die Regierung so wenig Vertrauen in ihre Richter und deren Urteile im Namen des Volkes? Würden diese Richter Täter, die Kinder zu Opfern gemacht haben, einfach grundlos mit milden Strafen belohnen? Urteilt die Politik da nicht eher genauso ahnungslos wie die Öffentlichkeit, da sie die Verfahren und Schicksale nur aus der Presse kennen? Oder geht es in Wahrheit nur um Volkes Zorn?

Was ist gerecht?

Jeder wünscht sich wohl Gerechtigkeit. Aber was ist gerecht? Jemanden mit einem Faustschlag den Kiefer zu brechen, wird wohl bei einem Ersttäter nur in wenigen Fällen mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr geahndet werden. So ist zumindest meine Erfahrung (außerhalb Bayerns)! Sollte deshalb jemand, der ein kinderpornografisches Bild auf der Festplatte hat, höher bestraft werden als jemand, der einem anderen den Kiefer gebrochen hat?

Das Albumcover mit dem passenden Titel „Virgin Killer“ der Band „Scorpions“, erschienen 1976, zeigt ein nacktes zehnjähriges Mädchen namens Jacqueline, dessen Genitalien durch eine gesprungene Glasscheibe verdeckt werden. Wenig zweifelhaft dürfte es sich nach der Definition in § 184b StGB um eine kinderpornografische Aufnahme handeln. Das Album wurde weltweit über eine Million Mal verkauft.

Würde diese Schallplatte bei einem Finanzbeamten, Polizisten oder Lehrer zuhause gefunden werden – was würde passieren? Der Richter wäre dazu gezwungen, die Mindeststrafe von einem Jahr zu verhängen. Mit allen dramatischen Folgen: Entfernung aus dem Dienstverhältnis unter Verlust sämtlicher Versorgungsbezüge wie der Pension. Ist das gerecht?

Apropos: Haben Sie gerade nach dem Plattencover gegoogelt? Herzlichen Glückwunsch, denn dann sind Sie nun auch im Besitz kinderpornografischer Schriften. Denn nach einer (meines Erachtens falschen) Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts genügt für den Besitz das Laden von Dateien in den Browser-Cache. Suchen Sie sich schon einmal einen guten Anwalt!

Härte oder Hilfe?

In einem lesenswerten Streitgespräch diskutieren Prof. Elisa Hoven und Prof. Jan Bockemühl über die Frage, was sinnvoller ist: Härte oder Hilfe? Was hier besonders an den Fragen der „ZEIT“ deutlich wird, ist dass die Vorstellung über Kinderpornografie oder Kindesmissbrauch oft in die schlimmst vorstellbaren Kategorien driftet – diese Fälle sind aber in der absoluten Minderzahl. Missbrauchsfälle wie die Verbrechen in Bergisch Gladbach und Lüdge sind absolute Ausnahmen. Dies wird leider sehr oft verkannt.

Welchen Sinn macht es, über eine Mindeststrafe zu diskutieren, wenn man von diesen zurecht erschreckenden Fällen berichtet, in denen das Gericht sicher zu hohen Strafen kommen wird? Das ist überflüssige Symbolpolitik, die allenfalls das übergriffige Misstrauen der Politik in die Rechtsprechung verdeutlicht.


New Work: Arbeiten nach Corona

Auch wenn uns die Corona-Krise jetzt noch fest im Griff hat, darf ein Ausblick erlaubt sein auf die Zeit und die Arbeit danach. Was wird sich verändern? Wie werden wir nach Corona arbeiten? Oder bleibt danach alles wie es vorher war – à la: Das haben wir schon immer so gemacht?

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Digitalisierung in der Justiz

Vor allem in der Justiz sollte die Corona-Krise als Weckruf in Richtung Digitalisierung verstanden werden. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben! Das Konzept von Papierakten, die immer herumgereicht und mit der Post verschickt werden, steht der Möglichkeit zum HomeOffice klar entgegen. Andere europäische Länder haben es vorgemacht. In skandinavischen Ländern etwa gehört die digitale Strafakte längst zum Alltag in der Justiz und den Kanzleien.

Staatsanwälte und Richter müssen mit mobilen Geräten ausgestattet werden, die „von überall“ Zugriff auf E-Mails, Telefon (z.B. mit einem Headset) und natürlich die Aktenverwaltung sowie die Strafakten erlauben. Dazu ist es zwingend notwendig, dass Aktenvorgänge digitalisiert gesammelt und zusammengefügt werden. Zu 90% bestehen Akten aus Berichten der Ermittlungsbehörden, Vernehmungen und Aktenvermerken. Warum druckt man diese immer noch aus und heftet diese als Papier in eine Akte? Es gibt folglich gar keinen Grund, die Akten am Schluss einzuscannen, wenn man alle Vorgänge gleich konsequent digital erfasst.

Die Zukunft der Kommunikation erfolgt digital. Es kann nicht sein, dass das Fax im Jahr 2020 noch das Kommunikationsmittel Nr. 1 ist! Mangels eines funktionstüchtigen Anwaltspostfachs (beA) bleibt uns Rechtsanwälten aber wohl leider keine andere Wahl. Für kurze Absprachen, Rückrufbitten o.ä. müssen Durchwahlen und E-Mail Adressen der Staatsanwälte und Richter frei (Rechtsanwälten gegenüber) kommuniziert werden. Die Geschäftsstellen sind überlastet, warum müssen diese Geschäftsstellen dann noch jedes einzelne Telefonat abwickeln?

Ein Ende der Präsenzkultur

Diese Präsenzkultur bei Rechtsanwälten und in der Justiz ist so 1990. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfordert präsenzunabhängiges Arbeiten! Aus dem HomeOffice, vom Spielplatz oder von wo auch immer! Arbeit muss flexibler werden, zeitlich und örtlich. Die Digitalisierung ist natürlich Grundvoraussetzung hierfür. Und wenn es Tage gibt, an denen wir im HomeOffice unproduktiver sind, gibt es andere Tage, wo die Produktivität „durch die Decke“ geht. Fakt ist: Der Arbeitsanfall ist letztlich immer gleich und diese Arbeit muss erledigt werden. Warum sollte dann nicht mehr Flexibilität herrschen, wie man diese Arbeit erledigt?

Weniger Geschäftsreisen

Momentan ist der Reiseverkehr zum Erliegen gekommen: Züge sind leer, Flugzeuge bleiben am Boden. Und trotzdem dreht sich die Welt weiter. Hier sollte endlich ein Umdenken stattfinden. Geschäftsreisen können durch Videokonferenzen ersetzt und Fortbildungen öfter als bisher auch digital erfolgen. Ich möchte Mandanten häufiger im Videochat treffen – die Möglichkeit hierzu haben wir längst geschaffen. Einzige Ausnahme: Hauptverhandlungen.

Hauptverhandlung und Alternativen

Hauptverhandlungen im Strafrecht sind Präsenztermine. Der Einsatz von Videokonferenztechnik bietet sich hier nur begrenzt an, jedenfalls bleibt dies ganz ferne Zukunftsmusik. Warum allerdings nicht noch viel mehr Verfahren durch Einstellungen gemäß §§ 153 ff. StPO oder Strafbefehl erledigt werden, bleibt mir gänzlich unverständlich.

Derartige Erledigungen würden die Justiz spürbar entlasten, stattdessen peitscht man unzählige Strafverfahren nach wie vor durch alle Instanzen. Oder anders formuliert: Was erst einmal unten beim Amtsgericht angeklagt ist, bleibt selten nur in dieser Instanz. Und wenn, dann endete das Verfahren in der Hauptverhandlung mit einer Einstellung. Das Ziel, die Justiz nachhaltig zu entlasten, kann nur gelingen, wenn die Staatsanwaltschaften nicht noch mehr Verfahren durch die Instanzen treiben. Ein Umdenken ist bei den Vorgaben an die Staatsanwälte erforderlich.

Die Justiz im Jahr 2020 kann sich nachhaltig ändern, wenn politisch die Schalter in Richtung „New Work“ umgelegt werden. Sonst stehen wir in der nächsten Krise vor denselben Fragen.


Straftaten auf niedrigstem Stand seit 1992

In diesen Tagen sind positive Nachrichten so wichtig, weshalb diese hier die meisten erfreuen dürfte: Seit 1992 gab es nicht mehr so wenig Straftaten wie im Jahr 2019. Die Kriminalstatistik (PKS) erfasste im vergangenen Jahr 5,43 Millionen Straftaten – die niedrigste Zahl seit 1992.

Mit Ausnahme der Strafverteidiger, die schließlich von Straftaten „leben“, dürfte das doch die Mehrheit der Bundesbürger erfreuen. Nie war Deutschland so sicher wie jetzt! Und 2020 wird die Statistik einen weiteren Rekord feiern. Aufgrund der #Coronakrise waren so viele Menschen zuhause wie selten zuvor. Das sind miese Zeiten für Verbrecher.

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Bemerkenswertes und merkwürdiges

Zurecht und erfreulicherweise bemerkt der Autor des Artikels auf „Spiegel.de“, dass diese PKS nicht unumstritten ist, denn teilweise hat sie nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. Durchaus bemerkenswert ist allerdings der Rückgang der Straftaten um ganze 10% im Vergleich zum Vorjahr. Beim Wohnungseinbruchsdiebstahl sind die Fallzahlen sogar von rund 167.000 im Jahr 2015 auf 87.000 im vergangenen Jahr gefallen. Auch bei der sog. Straßenkriminalität sowie den Kapitaldelikten gab es einen Rückgang.

Überaus merkwürdig ist dann allerdings dies: Die Herstellung, Verbreitung sowie der Besitz von Kinderpornografie ist um mehr als 60% angestiegen – fast doppelt so viele Tatverdächtige listet die Kriminalstatistik hier auf. Wie kann das sein? Besitzen oder tauschen die Deutschen jetzt tatsächlich mehr kinderpornografische Aufnahmen als früher? Quatsch!

Besonderheiten der Kriminalstatistik

Vieles spreche dafür, dass hier vor allem ein bisheriges Dunkelfeld aufgehellt wird, konstatiert der Autor auf „Spiegel.de“. Dem mag man zustimmen. Nie zuvor wurde der Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornografie so energisch geführt wie derzeit. Der Missbrauchsfall Lügde wird dazu beigetragen haben. Allein in dem Zusammenhang wurden unzählige Ermittlungsverfahren eingeleitet. Jedes einzelne Strafverfahren ist ein weiteres in der Statistik, auch wenn es immer um dieselben Aufnahmen und denselben Tatkomplex geht.

Gleichzeitig bekommt das Bundeskriminalamt (BKA) täglich Berichte vom National Centre for Missing and Exploited Children, einer US-amerikanischen Organisation, der die großen Anbieter (u.a. Google, Facebook, Microsoft und Netzanbieter) die in ihren Angeboten festgestellten Fälle von Kinderpornografie melden. Schon 2018 waren dies über 70.000 Hinweise. Auch daraufhin werden jeweils Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zuzugeben ist, dass aber insbesondere unter Jugendlichen die unreflektierte Verbreitung zugenommen hat. Hier werden arglos Nacktaufnahmen von Mitschülerinnen und Mitschülern weiterverbreitet – auch hierbei kann es sich um die Verbreitung von Kinderpornografie handeln!

Mitnichten hat sich aber die absolute Anzahl von dem Interesse an Kinderpornografie geändert. Einzig hat die Strafverfolgung zugenommen.


Audiovisuelle Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung

Seit Anfang des Jahres müssen Aussagen von Beschuldigten eines Tötungsdelikts mit Bild und Ton aufgezeichnet werden. Der § 136 Abs. 4 StPO erweitert die Pflichten für eine audiovisuelle Aufzeichnung bei der Vernehmung von Beschuldigten. Bisher war eine Videoaufzeichnung gem. § 163a Abs. 1 Satz 2 StPO a.F., der auf die §§ 58a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3, 58b StPO verwiesen hat, möglich. Jedoch kam dies in der Praxis kaum zur Anwendung. Nun werden die Ermittlungsbehörden in die Pflicht genommen.

Bei der audiovisuellen Aufzeichnung von einer Vernehmung handelt es sich immer um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten gem. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Jedoch überwiegt das staatliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung und einer möglichst umfassenden und zutreffenden Wahrheitsfindung. Dies rechtfertigt somit den Eingriff in dieses Grundrecht des Beschuldigten.

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Ziel der neuen Regelung

Hauptziel der neuen Regelung ist es die Wahrheitsfindung zu verbessern. Denn im Gegensatz zu Protokollen birgt die audiovisuelle Aufzeichnung deutliche Vorteile sowohl für die Verbesserung der Wahrheitsfindung als auch zum Schutz des Beschuldigten. Ein Video gibt die Vernehmung authentisch wieder und sie wird nicht noch durch die Wahrnehmung des protokollierenden Beamten gefiltert. Für die Interpretation der Körpersprache sind Videoaufnahmen hilfreich, denn so kann auch im Nachhinein noch das Verhalten des Beschuldigten auf bestimmte Fragen oder Vorwürfe genau analysiert werden.

Insgesamt kann die audiovisuelle Aufzeichnung eine erhebliche Verbesserung für die Wahrheitsfindung bedeuten. Zu dem hat diese auch Vorteile für den Beschuldigten. Die Videoaufnahme schützt den Beschuldigten vor rechtswidrigen Vernehmungsmethoden deutlich besser als zuvor. Das Vorgehen des Vernehmungsbeamten wird genauso festgehalten wie die Aussagen des Beschuldigten. Auch für eine spätere Hauptverhandlung können die Aufnahmen vorteilhaft sein. Zwar können einem Beschuldigten getätigte Aussagen besser vorgehalten werden, anderseits stellen sie jedoch auch einen sicheren Nachweis dar, wenn der Beschuldigte vorgeworfene Aussagen so nicht getätigt hat.

Wann besteht eine Pflicht zur Aufzeichnung?

Wie die frühere Regelung enthält der neue § 136 Abs. 4 StPO eine Kann-Vorschrift, nach der Ermittlungsbehörden grundsätzlich Videoaufnahmen von der Vernehmung eines Beschuldigten machen dürfen. Neu sind aber drei Konstellationen in denen eine audiovisuelle Aufzeichnung stattfinden muss:

  • dem Ermittlungsverfahren liegt ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde und der Aufzeichnung stehen weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegen,
  • die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden oder
  • der Beschuldigte unter 18 Jahren alt, also Jugendlicher ist.

Voraussetzungen für eine audiovisuelle Aufzeichnung

Damit die audiovisuelle Aufzeichnung zulässig ist, muss es sich um eine Vernehmung im engeren Sinne handeln. Somit sind beispielsweise bloße informatorische Anhörungen ausgeschlossen. Die Aufzeichnung hängt nicht vom Einverständnis des Beschuldigten ab. Dieser kann eine Aufzeichnung jedoch dadurch vermeiden, dass er die Aussage verweigert. Mindeststandards für die Aufzeichnung sind in der Gesetzesbegründung zu finden. Danach muss die Aufnahme den gesamten Verlauf der Vernehmung wiedergeben. Die Vernehmungsbeamten sollen Vorgespräche während der Aufzeichnung erwähnen und der Beschuldigte soll zum Abschluss der Vernehmung erklären, dass die Aufnahme die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt.

Audiovisuelle Aufzeichnungen in der Hauptverhandlung

Die Videoaufzeichnung ersetzt keine Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung! In der Hauptverhandlung wird die audiovisuelle Aufzeichnung wie ein Protokoll der Vernehmung verwendet. Somit kann immer dann wenn das Durchbrechen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zulässig ist und die Verlesung des Protokolls gestattet ist, nun die audiovisuelle Aufzeichnung verwendet werden.

Folgen des Fehlens einer audiovisuellen Aufzeichnung für die Revision

Aus dem Fehlen einer audiovisuellen Aufzeichnung kann man nicht der Schluss ziehen, dass die Vernehmungsförmlichkeiten nicht eingehalten wurden. Problematisch an der neuen Regelung ist, dass das Fehlen einer Aufzeichnung, die nach § 136 Abs. 3 StPO hätte erfolgen müssen, nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage im weiteren Verfahren führt. Dies bedeutet für die Praxis, dass ein Fehlen der Aufzeichnung keinerlei Konsequenzen hat. Ein ziemlich zahnloser Tiger!

Einzig wenn die Aufnahme bewusst willkürlich unterlassen wurde soll dies zur Unverwertbarkeit der Aussage führen. Hier darf man gespannt auf die Rechtsprechung warten.


NJW-Interview: Anzeigeerstattern wird zu leicht geglaubt

Die Neue Juristische Wochenschrift – NJW – veröffentlicht im heute erschienenen Heft 40/2019 ein Interview mit mir zum Fall Christoph M. Dass der Fall juristisch nach wie vor hoch spannend ist, zeigt der Beschluss des Landgerichts Köln vom 19.08.2019: Darin wird „Bild“ untersagt, „über den Antragsteller im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften in einer diesen durch Nennung seines Namens und Veröffentlichung seines Bildnisses identifizierenden Weise zu berichten“. Danach dürfte sich auch die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg als rechtswidrig erweisen, auf die sich das Medium nun natürlich ausdrücklich bezieht. Ich hatte diese Pressemitteilung vor der Veröffentlichung hier entsprechend anonymisiert.

NJW, Neue Juristische Wochenschrift, Interview, Sexualstrafrecht, Fußballprofi, Christoph M., Staatsanwaltschaft Hamburg, LKA42, PDF

In eigener Sache: Interview mit der NJW

Natürlich freut und ehrt es mich, dass die renommierteste der juristischen Fachzeitschriften (mit einer wöchentlichen Auflage von ca. 30.000 Heften) mich als „Experte“ zum Sexualstrafrecht in Hamburg befragt. Mit mehr als 100 Ermittlungsverfahren allein beim im Hamburg zuständigen LKA42 kann ich auch einiges über die Ermittlungen dort berichten – allerdings nicht nur Gutes.

Besonders freut mich, dass ich die Botschaft, die mich täglich beschäftigt, nämlich dass Anzeigeerstattern zu leicht und vor allem viel zu unkritisch geglaubt wird, hier sehr prominent platzieren konnte. Die Unschuldsvermutung ist ein hohes Gut unseres Strafverfahrens und dafür gilt sie insbesondere im Sexualstrafrecht viel zu wenig. Dabei sind Falschbeschuldigungen im Sexualstrafrecht so häufig wie wohl in keinem anderen Rechtsgebiet. Viele – um nicht zu sagen die meisten – Verfahren werden am Ende mangels Tatverdacht eingestellt. Die Vorwürfe ließen sich durch die Ermittlungen dann meist nicht als erlebnisbasiert erweisen. Aus diesem Grund sollte immer die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung im Auge behalten werden.

Der Verlag C.H. Beck hat mir freundlicherweise gestattet, das vollständige Interview aus dem Teil „NJW-aktuell“ hier veröffentlichen zu dürfen. Mein Dank gilt zudem Prof. Dr. Joachim Jahn, der mir die Fragen gestellt hat. Bereits in der vergangenen Woche hatte übrigens die JUVE und JUVE Steuermarkt unter „Namen und Nachrichten“ über uns berichtet.