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Thomas Fischer über Täter, die sich für Opfer halten

Thomas Fischer ist Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. In dieser Position sollte er sich eigentlich politisch in Zurückhaltung üben – aber das liegt ihm nicht. Für die aktuelle Ausgabe der „Zeit“ hat er einen großartigen Artikel verfasst über „Täter, die sich für Opfer halten“ – und jeden Satz ähnlich scharf formuliert wie ein Messer.

Die Steuersünder-Debatte und das Opferabo

Was wurde in den vergangenen Tagen nicht alles über Alice Schwarzer geschrieben. Leider viel Müll, gute Texte waren wenige dabei. Der hier besprochene ist einer der besten, die ich insgesamt seit langem gelesen habe. Er beginnt mit den moralischen Maßstäben, die Alice Schwarzer stets versuchte, anderen aufzuzwängen und an denen sie sich jetzt – wohl oder übel – selbst messen lassen müsse: „Wo Moralansprüche und Sendungsbewusstsein am höchsten, sind Abstürze am schmerzlichsten.“

Die anrührende Geschichte, die Schwarzer professionell im „suggestiv verdrehten Bild-Jargon“ verfasst hat, klingt abenteuerlich: Vor 30 Jahren, also gerade zu der Zeit in den 80er Jahren, als in Hessen die erste rot-grüne Landesregierung gewählt wurde und etwa zur Zeit ihres Angriffs auf die „Männerpresse“, will sich Feministin Schwarzer so verfolgt gefühlt haben, dass sie an Flucht dachte und deshalb schon einmal etwas Geld in ihrem Handtäschchen in die Schweiz beförderte. Was sie uns wohlweislich verschweigt:

Die Straftaten, deretwegen sie sich jetzt angezeigt hat, beging sie in den vergangenen zehn Jahren. In dieser Zeit saß sie in Spielshows herum, äußerte ihre Meinung über andere in Bild und in Talkshows. Sie war nicht Verfolgte, sondern Verfolgerin.

Und ebenso behält sie nun für sich, wo sie ihr „Fluchtkapital“ nun untergebracht hat, nachdem sie lediglich ein Drittel der Steuern nachgezahlt und das Konto aufgelöst hat. Zum Dank für ihr geschärftes Rechtsgefühl müsse sie nun eine „Kampagne“ von Menschen ertragen, die um der Schlagzeile willen „auf Recht und Gesetz pfeifen“ würden. Doch die Empörung bleibt aus:

Sie beging 30 Jahre lang Straftaten, weil sie ein Opfer war.

Schwarzer fühlt sich als Opfer eines „Rufmords“, eigentlich eine Vokabel die man verwendet, wenn eine Unwahrheit über jemanden verbreitet wird – in ihrem Fall also ganz und gar nicht anwendbar. Thomas Fischer platziert daraufhin einen Volltreffer in Anspielung auf ihre „Bild“-Kampagne gegen Jörg Kachelmann, allerdings ohne seinen Namen zu nennen:

Rufmord ist es, einen rechtskräftig Freigesprochenen weiter als Täter darzustellen.

Lächerliche Erklärungsversuche

Dennoch fühlen sich nicht alle als Opfer, die einmal einen Fehler begangen haben. Bischöfin Margot Käßmann etwa hat sich eine Zeitlang aus der Öffentlichkeit zurückgezogen – ihr wurde vergeben. Klaus Zumwinkel gab aus Anstandsgefühl sein Bundesverdienstkreuz zurück. Fischer beschränkt seine Kritik deshalb auch nicht nur auf Alice Schwarzer. Er kritisiert insgesamt die albernden Erklärungsversuche, die das Bild desjenigen, der es konstruiert, meist noch mehr zerstört als die Straftat an sich:

Diese Schusseligkeit gerade bei Menschen, die uns stets durch ihre geistige Perfektion und unermessliche Leistungsgrenzen beeindruckt haben! Wie konnte Uli Hoeneß, der alles weiß und jedes Tor aus 50 Jahren Bundesliga nacherzählen kann, vergessen, dass es da noch ein Sümmchen an Spielgeld gab? Wie kommt es, dass Theo Sommer, der Chefredakteur und Herausgeber der ZEIT war, Jahr für Jahr vergessen konnte, die paar kleineren Nebeneinkünfte in Höhe von insgesamt über einer Million Euro zu versteuern? Wie verdrängt ein Staatssekretär, dass er eine Erbschaft gemacht hat, die sich wundersam in „eine Lebensversicherung“ verwandelte und in der Schweiz „eingezahlt“ wurde?

Natürlich ist der Bruch des Steuergeheimnisses eine Straftat, aber man sollte den Skandal dort lassen, wo er ist: bei den Straftaten der Hinterzieher. Das Steuergeheimnis schütze (vielleicht) auch den schuldigen Hinterzieher, es ist aber nicht um seinetwillen und zur Verschleierung seiner Taten da, bringt es Thomas Fischer auf den Punkt. Und widerspricht dadurch Ralf Höcker, der ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Veröffentlichungen abstreitet.

So funktioniert Strafrecht, meint Thomas Fischer

Es mangelt augenscheinlich an Gerechtigkeit in Deutschland. In diesem Zusammenhang traut sich (endlich) einmal jemand, die Gerechtigkeitslücke zwischen dem Sozialbetrug von Hartz IV-Empfängern in Höhe von jeweils wenigen hundert Euro und den Kapitalanlegern aufzuzeigen, die diesem Land Steuern von mehreren hunderttausend Euro vorenthalten. Im Übrigen zweifelt Fischer auch daran, ob eine Regel, wonach ein Täter nachträglich die Strafbarkeit seiner Tat beseitigen kann, mit unserem Strafrechtssystem wirklich zu vereinbaren ist. Der Gerechtigkeitsgehalt einer solchen Regel, lässt er wissen, sei jedenfalls denkbar klein. Und schließlich hält er einen Lösungsvorschlag parat, wie man der Steuerhinterziehung beikommen sollte:

Die einzig erfolgreiche Methode ist eine massive Erhöhung des Risikos. Nicht Nachsinnen über das Unrecht treibt die Menschen an, ihre geheimen Konten von ganzem Herzen zu bedauern, sondern die pure Furcht vor dem Erwischtwerden.

So funktioniert Strafrecht.

Abschließend stellt Fischer treffend klar: Steuerhinterziehung ist verzeihlich, in diesem Punkt habe Alice Schwarzer Recht. Aber über Ort, Zeit und Maß des Verzeihens habe generell nicht der Täter, und im Speziellen auch nicht die Täterin selbst zu entscheiden.


12 Kommentare zu “Thomas Fischer über Täter, die sich für Opfer halten

  1. Ich finde den Text gelungen, aber er geht hier und da doch an der juristischen Wirklichkeit vorbei:

    1. Fischer sollte sich NICHT in Zurückhaltung üben. Dies ist ein von der Legislative vorgebrachtes Argument, das man nicht unüberlegt wiedergeben sollte. Die Politik, um es mal deutlich zu sagen, hat immer folgende Argumente: a) Beamte haben sich politisch in absoluter Zurückhaltung zu üben und sich bei (jeglicher?) Meinungsäußerung zu mäßigen. b) Richter sprechen durch ihre Urteile und nicht in politischen Hintergrundgesprächen (das bezog sich nach meiner Erinnerung auf Voßkuhle).

    Hierdurch wird jedoch eines klar… in Angelegenheiten mit politischer Dimension und Brisanz darf offensichtlich nur die Politik sprechen. Nicht aber die Verwaltungsbehörden oder gar die Justiz. Im Hinblick auf das Prinzip der Checks & Balances ist das nicht unproblematisch, zumal die Rechtsprechung den Beamten z.B. sehr wohl ein politisches (!) Äußerungsrecht zugesteht, z.B. den Finanzbeamten im Hinblick auf Steuervergehen. Wer wenn nicht die Sachverständigen sollte in solchen Angelegenheiten das Wort führen? Wer wenn nicht Fischer vom BGH sollte das Wort führen, wenn es um Fragen des Strafrecht AT geht (auch wenn ich §§ 370, 371 AO als Normen des Nebenstrafrechts damit dem AT zuordnen, wo sie streng genommen auch hingehören, §§ 369 Abs. 1, 369 Abs. 2, 1 EGStGB, 22, 23, 24 StGB)?

    2. Streng genommen gehört § 371 AO in die Rücktrittssystematik des StGB. Das geschützte Rechtsgut (Steueranspruch des Staates) ist zwar beeinträchtigt und kann durch vollständige Nachzahlung und Verzinsung wieder hergestellt werden. Es gibt viele Erklärungsansätze (Theorie der goldenen Brücke – von Feuerbach), Kriminalpolitischer Notstand bzw. Ermittlungsnotstand und und und. Über die Straffreiheit kann man sicher streiten, aber aus Sicht der Finanzbehörde, bringen die Selbstanzeigen Unmengen an nachzuzahlenden Steuern, Vollverzinsung § 233 a AO und Hinterziehungszinsen § 235 AO bringen ein übriges – zumal dieses Geld bei den erhebenden Ländern verbleibt.

    3. Steuergeheimnis: Zitat: „Natür­lich ist der Bruch des Steuerge­heimnisses eine Straftat, aber man sollte den Skan­dal dort lassen, wo er ist: bei den Straftaten der Hin­terzieher. Das Steuerge­heim­nis schütze (vielle­icht) auch den schuldigen Hin­terzieher“. Ich teile die Auffassung uneingeschränkt. ABER: Argument vom Schutzzweck her. Der Schutzzweck von § 30 AO soll dazu beitragen, dass der Bürger den Finanzbehörden seine steuerlichen Verhältnisse offenbart (Offenbarungsfunktion) und dazu sicher sein kann, dass nichts nach außen dringt (Datenschutzfunktion). Sicher ist der Datenschutz verletzt worden, aber man solle bitte nicht vergessen, dass die Offenbarungsfunktion zuvor vom Täter verletzt wurde. Er genießt m.E. nur eingeschränkten Schutz. Unter Hinweise auf § 355 StGB (?) muss ich jedoch eingestehen, dass das Durchstechen an die Medien sicherlich unangemessen ist. ABER:

    4. Wer sagt eigentlich, dass das die Finanzbehörden waren? Beteiligt sind an Selbstanzeigen meist auch Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer, die Bank, die die Unterlagen zusammenstellt. Und dergleichen mehr. Der Hinweis auf den Eintritt der Straffreiheit besagt noch lange nicht, dass die Finanzbehörde die Medien informiert hat. Niemandem ist daran gelegen die eigene Akte im SPIEGEL besprochen zu bekommen. Nach Einstellungsmitteilung an den Besch. oder dessen Berater erhalten genug Menschen außerhalb der Sphäre der Finanzbehörde Kenntnis vom Sachverhalt. Und warum soll nicht ein „verärgerter Patriarch“ die Information durchstechen, da ihm die geräuschlose Erledigung der Selbstanzeige missbeliebt?

  2. Anstatt in ewig gleicher Leier über Steuerhinterzieher zu fabulieren, wo bleibt die Empörung über maßlose Steuerverschwendung durch Politiker oder die Empörung über das, was sich Politker in die eigenen Taschen stecken. Wieviele neue Posten hat sich die Große Koalition doch gleich nochmal gegönnt?

    • Ewig gleiche Leier? Der Fall Schwarzer ist keine Woche alt. In diesem Blog geht es um (Steuer-) Strafrecht, nicht um Politik. Und das Schaffen von neuen Posten in der Großen Koalition ist eben nun einmal nicht strafbar.

      • Eben, wie sollte es auch strafbar sein oder werden. Gesetze werden ja leider nicht vom BGH gemacht.

    • Sollte die „Steuerverschwendung“ der Politiker denn die Steuerhinterziehung rechtfertigen?

  3. In dem Artikel hier heißt es:

    Thomas Fis­cher platziert daraufhin einen Voll­tr­e­f­fer in Anspielung auf ihre „Bild“-Kampagne gegen Jörg Kachel­mann, allerd­ings ohne seinen Namen zu nennen:

    Ruf­mord ist es, einen rechtskräftig Freige­sproch­enen weiter als Täter darzustellen.

    Ich sehe nicht, das Herr Fischer den Namen Kachelmann nicht nennt.
    Dies ist eher ein Spiel der zugeworfenen Bälle mit einer vorherigen Äußerung:

    Oder dieser Kachelmann!
    Wird rechtskräftig freigesprochen und behauptet trotzdem frech, er habe nichts verbrochen! Damit
    solche Leute keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen, gibt es die Gerechten. Sie schreiben Kolumnen und speisen mit den Großen der Welt.

    So wie er dort den Ball der Nennung von Frau Schwarzer im 2. Teil (“ Sie schreiben Kolumnen…“) für später aufbewahrt, so nutzt es den bereits geworfenen Ball („Oder dieser Kachelmann …“) in seinem späteren sehr treffenden Vergleich (wobei ich beide Vergleiche sehr treffend finde).

    Im übrigen ein wirklich sehr lesenswerter Text von Herrn Fischer!

  4. Nachdem der Artikel nun „online“ ist noch ein zwei Gedanken hinterher….

    Auch Herr Fischer findet nichts Verwerfliches an dem öffentlichen Bekanntwerden. § 30 AO ist ja materiell durch § 355 StGB abgesichert, aber klar ist es keineswegs, dass die Daten aus den Finanzbehörden stammen. Bedenke man, wer in der aktuellen Berliner Affäre so alles von den Geldanlagen und den Ermittlungen der Finanzbehörden wusste, bis hin zum Regierenden Bürgermeister ;-).

    Die Durchsuchung der Finanzämter im Falle Hoeness zeigt ja sehr, inwieweit das purer Aktionismus war. Man hätte auch gleichzeitig die Strafsachen- und Bußgeldstellen, die Staatsanwaltschaft, das Amtsgericht (Stichwort: Ermittlungsrichter, der Haftbefehl und Durchsuchungsbeschluss erlassen hat) oder auch nur die Entscheidungsträger in den bayerischen Finanzämtern (FAGO – Zeichnungsrecht, schon mal gehört?) bis hin zur bayerischen Mittelbehörde (wohl das BayLfSt?) durchsuchen können / müssen. Aber natürlich setzt man den Hebel dort an, wo er am wenigsten zu suchen hat, beim Veranlagungsmitarbeiter und/oder Sachbearbeiter.

    Auch Herr Fischer, immerhin VRiBGH 2. StR, beklagt ja im Subtext, dass gerade die, die sich einen „Dreck um die Gerechtigkeit geschert haben“ (Paron für die Ausdrucksweise) vgl. jedenfalls § 85 AO, nun auf ihr gutes Recht berufen. Natürlich ist das richtig und dem Rechtsstaat immanent. Andererseits scheinen diese Menschen sich nicht im geringsten für unsere Steuergerechtigkeit zu interessieren und gerecht ist der Staat ihnen gegenüber sowieso nie (staatliches Übermaß bei der Steuerfestsetzung und -erhebung und dann auch noch CDs kaufen um MICH (!) zu verfolgen). Böser, böser Staat.

  5. Schön, dass man auch Herrn Fischers Meinung zum Thema „Bordelle“ erfährt.
    Dass Schwarzer gegen das Ehegattensplitting ist, hat Herr Fischer ihr anscheinend
    strafverschärfend angerechnet.

  6. es ist wirklich grotesk, was menschen wie frau schwarzer alles verdrängen.. es erinnert mich, wenn auch in anderen zusammenhängen, an die prominenten staasi-spitzel der ddr, die ja angeblich später „völlig vergessen“ hatten, dass da mal was war …
    naja, das gedächtnis ist offenbar eine dehnbare angelegenheit…
    obwohl weiblich, vergesse ich frau schwarzer nicht, dass sie sich, um kachelmann zu schädigen, sogar bei der „bild“ verdingte… das war unter aller würde!

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